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Diskussion um Kopfverletzungen: England-Weltmeister verklagt RFU und World Rugby
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Geschrieben von TotalRugby Team   
Mittwoch, 9. Dezember 2020

Steve Thompson feiert den WM-Sieg 2003 mit einer Flasche Champagner.
Steve Thompson nach dem WM-Finale 2003 - ein Spiel, an das er sich nach eigener Aussage nicht mehr erinnern kann.

Kopfverletzungen, der Umgang mit ihnen und deren Folgen, bleiben ein kontroverses Thema im Rugby. Die Diskussion dürften in den kommenden Wochen zunehmen, nachdem eine Gruppe von Ex-Profis gestern eine Sammelklage gegen die englische RFU und den Weltverband angekündigt haben. Die Spieler wollen eine finanzielle Entschädigung und strengere Regeln, um junge Spieler vor den Folgen von Gehirnerschütterungen zu schützen.

Acht Ex-Profis um Steve Thompson, den England-Weltmeister von 2003, haben gestern rechtliche Schritte gegen den Rugby-Verband des Mutterlands und World Rugby angekündigt. Allesamt haben diese Spieler Frühzeichen von Demenz und es besteht der Verdacht auf eine chronisch-traumatische Enzephalopathie (CTE). Diese Hirnverletzung wurde bei den Spielern, die alle 45 oder jünger sind, von einem renommierten Neurologen am Universitätskrankenhaus des Londoner Kings College diagnostiziert.

Thompson, der im WM-Finale von Sydney 2003 als Hakler startete und durchspielte, lief zwischen 2002 und 2011 weitere 72 Mal für England auf, drei Mal für die British and Irish Lions, sowie in über 250 Profi-Vereinsspielen in England und Frankreich. Laut eigener Aussage leidet der 42-jährige Engländer unter Panikattacken, Stimmungsschwankungen und kann sich nicht mehr an den Triumph von 2003 und die restlichen Spiele des Turniers erinnern.

Sonny Bill Williams kassierte für dieses Tackle Rot - in Neuseeland sorgte dies 2017 noch für Diskussionen

„Es ist bizarr, ich rede mit den Jungs über die WM damals, aber es kommt mir vor, als würde ich nicht in die Geschichte gehören, es ist alles weg“, so Thompson gegenüber der BBC. Was Thompson und die sieben weiteren Ex-Profis den Rugby-Verantwortlichen vorwerfen, ist Fahrlässigkeit. Die RFU und der Weltverband hätten die Risiken von Kopfverletzungen über Jahre systematisch heruntergespielt.

Dabei betont Thompson, dass er Rugby in seiner jetzigen Form erhalten wolle, aber den Nachwuchs und die kommende Generation von Spielern schützen wolle. Zu Beginn der Profi-Ära habe es keinerlei Gedanken um die Sicherheit der Spieler gegangen. Trainingseinheiten seien sehr schnell ausgeartet, hunderte Gedränge oder Tackles bis zum Umfallen verlangt worden - man sei schlicht wie ein „Stück Fleisch“ behandelt worden. Das wolle man kommenden Generationen ersparen.

„Ich kann mich einfach nicht mehr daran erinnern" - Steve Thompson im Interview mit dem Guardian

Die Londoner Anwaltskanzlei Rylands Law vertritt die Spieler. Laut deren Anwalt Richard Boardman sei Rugby noch immer wie der „wilde Westen“, wenn es darum ginge, Vollkontakt zu regulieren und verweist dabei auf die NFL. Die Spieler, die er vertrete, wollen dahingehend genauere Regeln, sowie eine finanzielle Kompensation für ihre erlittenen Schäden haben. Boardman geht darüber hinaus im Gespräch mit dem Sydney Morning Herald davon aus, dass sich weitere Spieler der Sammelklage anschließen werden.

World Rugby verweist auf die bisherigen Anstrengungen

Beim Weltverband World Rugby will man sich zu dem konkreten Fall vor der Einreichung einer Klage nicht äußern, verweist zugleich aber auf die eigenen Anstrengungen in Sachen Kopfverletzungen. Schon vor mehreren Jahren hatte der Verband eine Null-Toleranz-Linie ausgegeben und Strafen für Kontakt mit dem Kopf verschärft. Das hatte besonders Down Under zu Diskussionen darüber geführt, ob die eingeführten Sanktionen nicht zu harsch seien und das Spiel kaputt machten.

In Deutschland hat sich besonders DRV-Cheftrainer Athletik und Medizin, Colin Grzanna, der Gefahren-Aufklärung verschrieben. Gegenüber TR erklärte Grzanna, wie sich die Ansichten in Sachen Kopfverletzungen die Jahre über verändert haben. Sei es vor 20 Jahren noch ein Zeichen von Mut angesehen worden, trotz Kopfverletzung weiterzuspielen, bestünde heute eine ganz andere Sensibilität für das Thema, so der Arzt und Ex-Nationalspieler (TR berichtete).

CTE als Problem im Profisport

In Großbritannien ist der Fall von Thompson und seinen Mitstreitern der erste prominente Fall von Ex-Rugby-Profis, die mit dem Verdacht auf CTE diagnostiziert werden und nun den Verband verklagen. In der amerikanischen NFL hatte eine Gruppe von Ex-Spielern bereits 2011 mit einer Sammelklage rund eine Milliarde US-Dollar von der Liga eingeklagt.

Die Regeln wurden in mehrfacher Hinsicht verschärft und das Bewusstsein für die Gefährlichkeit von Gehirnerschütterungen geschärft. Training unter Vollkontakt ist mittlerweile auf eine bestimmte Anzahl von Trainingseinheiten reduziert, Kontakt mit dem Helm wird härter geahndet.

Im Fußball wurde Sir Bobby Charlton, Manchester-United-Legende und Weltmeister von 1966, ebenso mit Verdacht auf CTE diagnostiziert. Bei Ex-England-Nationalspieler Jeff Astle wurde nach dem Tod durch eine Obduktion CTE festgestellt Auch im Fußball wurde zumindest im Nachwuchsbereich an den Regeln gearbeitet, wo Kinder unter dem Alter von zwölf Jahren nun keine Kopfbälle mehr trainieren.

Auch im Rugby könnte mit weiteren Verschärfungen zu rechnen sein. Eine Klagewelle dürfte es ebenso geben. In Australien stünden mehrere Ex-Profis ebenso vor dem Einreichen einer Klage, so der Sydney Morning Herald.

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