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TR-Review: England triumphiert am Super-Samstag und gewinnt die 6 Nations
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Geschrieben von TotalRugby Team   
Montag, 2. November 2020

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So ungewöhnlich wie das Jahr 2020: Die Trophäen-Zeremonie im Garten des englischen Teamhotels.

40 Wochen statt der üblichen sieben mussten Rugby-Fans in Europa und um den Globus auf die Entscheidung beim Sechs-Nationen-Turnier warten. Statt wie üblich im März fiel die Entscheidung im Titelkampf erst am letzten Oktobertag. Der Super-Samstag der Entscheidung enttäuschte nicht, vor allem das abschließende Duell Frankreich-Irland bot Weltklasse-Rugby. Zuvor hatte England nach Stotter-Start schlussendlich genügend Punkte erzielt, um die Titel-Chance zu wahren. Irland vergab gegen starke Franzosen den Matchball, weswegen England triumphierte. Alun Wyn Jones Rekord-Spiel geriet für den Wales-Kapitän zur herben Enttäuschung, die fünfte Niederlage in Folge und die erste daheim gegen Schottland seit 2002 sprechen für sich.

England mit Stotterstart und dem Titelgewinn dank französischer Schützenhilfe

Als Italiens Luca Morisi mit dem Pausenpfiff nach einem weiteren Gastgeber-Konter fast die italienische Halbzeitführung erzielte - er hatte einen langen Kick in das Malfeld der Engländer unter Druck von Johnny May nur hauchdünn verpasst - standen die Chancen auf einen englischen Turnier-Sieg denkbar schlecht, trotz 10-5 Führung. „So viele Bälle, wie wir weggekickt haben, bei dem Talent in der Mannschaft, das ist schlicht verrückt“, so das gnadenlose Halbzeit-Urteil von Weltmeister-Trainer Sir Clive Woodward im englischen Fernsehen.

Tatsächlich hatte England, das dringend vorlegen musste, um einen Chance auf den Turniersieg vor dem Abschlussspiel in Paris zu haben, in Durchgang eins in Rom die Null-Risiko-Taktik angewandt. So gut wie jeder Ball wurde direkt per Tritt tief in die Hälfte der Italiener befördert, um auf Fehler der zuletzt verunsichert aufgetretenen Gastgeber zu hoffen - abgesehen von einem frühen Versuch durch Ben Youngs und einem Farrell-Straftritt hatte man wenig Erfolg damit.

Italien zeigte sich im Vergleich zur Vorwoche in Dublin stark verbessert. Nach einem Ballverlust von Sinckler, als England nahe der Mittellinie ausnahmsweise Mal was mit dem Ball versuchte, konterte das Team von Coach Franco Smith mit Innen Carlo Canna und Achter Jake Polledri zum ersten Azzurri-Versuch Mitte des ersten Durchgangs. In der Defensive zeigte man sich äußerst aggressiv und ließ erstaunlich wenig zu, wenn der Vizeweltmeister im Angriff war. Das hinterließ bei den Engländern zeitweise Wirkung, immer wieder ließen sich die Spieler des Vizeweltmeisters auf kleine Scharmützel ein.

Doch England wäre nicht England, wenn der Vizeweltmeister nach der Pause nicht noch eine Schippe drauflegen hätte können. Der zuletzt viel kritisierte Gedrängehalb Ben Youngs, der in Rom seinen 100. Einsatz im Trikot mit der Rose feierte, sorgte für einen Traumstart in den zweiten Durchgang. Mit einer Passfinte narrte er Italien-Prop Fischetti an der Azzurri-22 und konnte am Offenen vorbei ins Malfeld spazieren. Italien verteidigte zwar weiterhin aggressiv, aber nicht mehr ganz so konsequent, wie in Durchgang eins.

England schaffte es erst in Durchgang zwei die Italiener konstant unter Druck zu setzen

Erst Jamie George per Paket in der 50. Minute, dann Tom Curry in der 67. Minute per Pick-and-Go über die kurze Seite schraubten Englands Punktekonto weiter in die Höhe. Slades Versuch in der 71 Minute nach cleverem Bodenroller von Farrell war Englands fünfter und sollte der letzte sein. England gewann nach einer deutlich besseren zweiten Hälfte mit 34:5 und musste nun zittern, was in Paris geschehen würde. Ein irischer Sieg mit +7 hätte den Six-Nations-Titel für die Boys in Green bedeutet - Frankreich dagegen brauchte somit 31 Zähler, was von Anfang an utopisch wirkte.

Tatsächlich bot das Abschlussspiel im leeren Pariser Stade de France, wo in weniger als drei Jahren das WM-Finale zum krönenden Abschluss des Rugby World Cups 2023 gespielt wird, weit mehr als die ersten beiden Duelle des Tages. Frankreich zeigte sich spielfreudig, wie schon die Woche zuvor an gleicher Stelle gegen Wales und Irland wusste zumindest phasenweise zu glänzen. Um zu unterstreichen, dass man sich im Titelkampf noch nicht aufgegeben hatte, legten les Bleus gleich los, wie die Feuerwehr.

Aus der eigenen Hälfte bediente Verbinder Ntamack den einlaufenden Schluss Bouthier, der dem heranrauschenden Sexton ausweichen konnte. Dieser bediente dann den überragenden Gaël Fickou, der sich an gleich drei Verteidigern vorbeitanzte und im richtigen Moment den Assist an den überragenden Gedrängehalb Dupont zum Auftaktversuch gab. Frankreich zeigte in der Auftaktphase alles was sie zuletzt so stark gemacht hat: Ein kongeniales Spielmacher-Duo, viel Wille zum Risiko, ein brutal effizienter Sturm, aber zugleich auch etwas mangelnde Cleverness.

Anthony Bouthier, der ehemalige Bauarbeiter, der es erst spät zum Profi geschafft hatte, ist ein Beispiel dafür. Bouthier, der erst 2019 mit 27 Jahren erstmals in Liga eins auflief, ist ebenso spielfreudig, wie manchmal schlicht unerfahren auf diesem Niveau. Als Johnny Sexton nur wenige Minuten nach der Frankreich-Führung einen cleveren Bodenroller Richtung Frankreich-Malfeld setzte, war Bouthier zwar als erster da um zu säubern, er tat dies aber auf illegale Weise. Für sein rausschlagen des Balles kassierte er Gelb - Frankreich schrammte nur knapp am Strafversuch vorbei.

Frankreich verteidigte die Unterzahl heroisch, kassierte dann aber in der letzten Minute von Bouthiers Gelber doch den Pick&Go-Versuch von Cian Healy. Ein Sexton-Straftritt brachte Irland wenig später erstmals die Führung, der Six-Nations-Sieg war nun nur noch vier Zähler entfernt. Das änderte aber nichts an der Tatsache, dass die Gastgeber das bessere Team waren.

Vor der Pause drehten die Franzosen das Spiel erneut - nach einer schnellen Kombination war der Ball per Bodenroller Richtung Malfeld unterwegs - Frankreich-Flanker Cros schien das Rennen zum ovalen Leder zu gewinnen, bis er zwei Meter vor der Linie ohne Ball von hinten getacklet wurde. Die logische Entscheidung von Wayne Barnes: Strafversuch und Gelb für Irlands Caelan Doris.

Nach der Pause dann Frankreichs stärkste Phase, in der die Männer von Coach Fabian Galthié das Geschehen nach Belieben dominierten. Bouthier entschärfte einen Kick von Sexton und leitete per Offload an Spielmacher Ntamack den Konter ein. Der legte im richtigen Moment auf den großartigen Fickou ab, der mit seinem Kick Richtung Malfeld den Unterstützung laufenden Dupont erreichte, der wiederum mit einem Wunder-Offload über den Iren Doris seinen Toulouse-Teamkollegen Ntamack erreichte.

22:13 für Frankreich und nach zwei weiteren Straftritten 28:13 - man hätte kurzzeitig denken können, dass Frankreich das Wunder noch schaffen könnte und den Sieg mit 31 Zählern zum ersten Six-Nations-Sieg seit dem Grand Slam von 2010 holen könnte. Doch Frankreich vermochte in einer Phase der drückenden Überlegenheit nur zwei Straftritte herauszuholen, im Nachhinein zu wenig. Stattdessen kam Irland über einen Versuch noch Mal heran - eine verunglückte irische Gasse landete bei Henshaw. Die herausrückende Frankreich-Verteidigung war aber unorganisiert, so dass sich der Irland-Innen seinen Weg durch diese zum 20-28 Anschluss nach 60 Minuten bahnen konnte.

Das beste Spiel des Super-Samstags: Frankreichs Heimsieg gegen Titelkandidat Irland

Der Turniersieg war somit nur noch theoretisch möglich, aber Romain Ntamack zauberte dennoch noch einmal. Ein Überkick über die aufrückende Irland-Defensive zu sich selbst hebelte die Verteidigung aus - Ntamack bediente im richtigen Moment Vakatawa und Frankreich war wieder mit 35-20 vorne. Als die Uhr schon auf rot war, schließlich der Schlusspunkt: Irland-Schluss Stockdale, bedient per Offload vom Neuling Hugo Keenan, konnte den Schlusspunkt zum 27-35 aus Irland-Sicht machen, nachdem er zuvor auf der für ihn ungewohnten Schluss-Position einige Patzer gezeigt hatte.

Für Irland definitiv enttäuschend, war man doch mit dem Ziel Titelgewinn in dieses Spiel gegangen. Die Franzosen waren da weitaus besser gestimmt und feierten ihren Sieg. Wäre da nicht die rote Karte in Schottland gewesen, die zum einzigen Ausrutscher des Turniers führte, hätte Frankreich wohl den ersten Titel seit 2010 geholt. Zumal man den schlussendlichen Gewinner England ja zum Auftakt ja geschlagen hatte.

England dagegen fährt den vierten Titel in zehn Jahren ein, womit das Team von Eddie Jones das erfolgreichste der Dekade ist. Englands Spieler hatten in den Katakomben des Römer Olympiastadions lange zittern müssen - die Trophäe gab es dann erst am Sonntag in einer ungewöhnlichen Zeremonie. Auf dem Gelände der aktuellen Basis im Lensbury-Hotel, im Westen Londons unweit vom Twickenham Stadium, bekamen die Engländer ihre Medaillen und den Pokal überreicht. 2020 bleibt ein alles andere als normales Jahr.

Eine Zeremonie, wie wir sie hoffentlich nicht wieder so sehen - im Hotelgarten, ohne Fans und am Tag nach dem Gewinn des Turniers


Alun Wyn Jones bricht den Allzeit-Rekord in einem frustrierenden Spiel aus waliser Sicht

Für den Zweite-Reihe-Hünen Alun Wyn Jones waren es sicherlich gemischte Gefühle beim ersten Spiel des Super-Samstags gegen Schottland. Der 35-jährige Kapitän ist in Wales und darüber hinaus eine lebende Legende und absolvierte Samstag sein 149. Länderspiel, mehr als jeder Rugbyspieler jemals.

Die Umstände hätten aber kaum tragischer sein können - statt vor 75.000 im Millennium Stadium von Cardiff, wurde das keltische Duell gegen die Schotten in Llanelli ausgetragen, da die Pandemie weiter in Großbritannien wütet und die walisische Heimspielstätte als Feldlazarett gebraucht wird. Nicht mal die Familie des Rekordspielers durfte zugegen sein, denn in Wales gilt aktuell ein strenger Lockdown.

Dazu ist Wales in der schlechtesten Form seit Jahren, die 10-14 Heimniederlage gegen Schottland war die fünfte Pleite in Folge und sie war völlig verdient. Neu-Coach Wayne Pivac wollte das Offensivspiel der Waliser beleben, so wie er es einst an gleicher Stelle mit den Scarlets als Vereinstrainer gemacht hatte. Doch Wales Angrifsmaschinerie stotterte und dazu ist die einst so gefeierte Defensive der Waliser ein Schatten ihrer selbst.

Wenig Highlights nach 80 Minuten: Wales empfing Schottland und kassierte die erste Pleite daheim seit 2002 gegen die Bravehearts

In einem Spiel, dem es komplett an Rhythmus fehlte und das von Fehlern beider Seiten geprägt war, zeigten sich die Schotten schlussendlich engagierter und spielbestimmend.  Gegen den Spielverlauf konnte Wales aber den ersten Versuch legen - eine von vielen verworfenen Gassen landete tief in der 22 von Schottland in den Händen des walisischen Sturms. Schottlands Defensive hatte nach etlichen Phasen keine Antworten mehr, so dass Wales-Prop Rhys Carre aus kurzer Distanz per Pick&Go über die Linie kam.

Schottland war weiter das bessere Team, obwohl Finn Russel mit einer Muskelverletzung vom Feld musste. Zur Pause schafften es die Gäste aber nur auf zwei Straftritte zum 6-7 Anschluss. In Durchgang zwei sollte es zwanzig Minuten bis zum entscheidenden Versuch dauern - Schottland powerte sich per Paket über die Linie, wo Ersatz-Hakler McInally zum 11:7 ablegen konnte. Bis zum Abpfiff geschah nicht mehr viel, jeweils ein Straftritt auf beiden Seiten sorgte für den Endstand in einem Spiel, das ohne den Wyn-Jones-Rekord schnell vergessen sein wird.

Wie es mit Wales weitergeht, ist mindestens so spannend wie die Frage nach der Zukunft des Rekordspieler Alun Wyn Jones. Mit 35 hat er den Herbst seiner Karriere erreicht, aber zumindest bis zur Lions-Tour im Juli nächsten Jahres dürfte der Zweite-Reihe-Hüne noch spielen wollen. Er könnte die Rekordmarke weiter hochschrauben und seinen Status als einer der größten seiner Zunft weiter zementieren.

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