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Historisches Duell in Wellington: All Blacks verlieren ihren Nimbus der Unbesiegbarkeit
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Geschrieben von TotalRugby Team   
Sonntag, 2. Juli 2017

Grenzenloser Jubel bei Sam Warburton und seinen Männern, die Lions haben die Serie ausgeglichen!
Grenzenloser Jubel bei Sam Warburton und seinen Männern, die Lions haben die Serie ausgeglichen!

Das zweite von drei Länderspielen der Lions Tour - Es war ein episches Aufeinandertreffen und zwar in vielerlei Hinsicht. Erst zum dritten Mal überhaupt musste ein Spieler All Blacks in der 125-jährigen Geschichte der neuseeländischen Nationalmannschaft das Feld mit einer roten Karte verlassen. Die letzte rote Karte eines All Black kassierte der legendäre Kapitän Collin Meads in Edinburghs Murrayfield gegen Schottland  vor genau 50 Jahren. Außerdem war die Niederlage der All Blacks die erste seit nunmehr 14 Jahren und 16 Spielen Spielen in ihrer Hauptstadt Wellington, dessen Stadion aufgrund seiner Form und Aluminium-Verkleidung als „cake tin" (Kuchenform) bekannt ist.

Die Bedingungen in Wellington, das in Neuseeland „windy Wellington“ genannt ist, waren grenzwertig. Platzregen und starke Windböen ließen kein expansives Spiel, wie man es von den Weltmeistern gewöhnt ist, zu. Doch ebenso war zu erkennen, das auf dem Rasen der „Kuchenform“ einige der besten Spieler der Welt unterwegs waren - hammerharte Hits und oftmals ansehnliche Spielpassagen trotz der geradezu absurden Wetterbedingungen.

Die Auftaktphase der Partie konnte kein Team so recht dominieren und auch die Gastgeber waren nicht in der Lage ihre leichten Feldvorteile in mehr als drei Punkte umzumünzen. Den Lions wiederum, denen überhaupt erst ein Tour-Triumph über die All Blacks im Jahr 1971 gelungen war, merkte man an, dass sie mit dem Rücken zur Wand standen. Mit unglaublicher Intensität rauschten die schweren Stürmer der von Warren Gatland trainierten Mannschaft in die Linie der All Blacks, jedoch noch ohne viel zählbares hervorzubringen. Eine vielversprehcende Serie von Pick-and-Gos endete in einem einfachen Vorball vom sonst stark kämpfenden Zweite-Reihe-Neuling Maro Itoje.

Die Lions machten ihre Intentionen früh klar - ein Sieg musste her um eine Entscheidung im dritten Spiel in Auckland zu erzwingen. Doch Neuseeland profitierte stattdessen zuerst von einem Gedränge-Straftritt, der ihnen die Führung ebnete. Bei den Gästen wiederum war es erst ein sinnloser Block, der den Touristen die erste Chance auf Punkte per Straftritt verschaffte. Aus über 40 Metern, mit einem unangenehmen Winkel machte Owen Farrell, den Coach Gatland als Innen an der Seite von Verbinder Sexton aufliefen ließ, keinen Fehler und nagelte den Ball zum 3:3 über die Stangen.

Der Wendepunkt in dieser Partie sollte dann aber bereits nach 20 Minuten erfolgen: Der wohl berühmteste Spieler der All Blacks, Sonny Bill Williams, sollte für einen unrühmlichen Höhepunkt sorgen. Der vor Jahren aus dem Rugby League gewechselte Williams, wo mittlerweile Bodychecks ohne den Einsatz der Arme ebenso wie im Union verboten sind, fabrizierte einen absoluten „Cheap Shot“. Lions-Außen Anthony Watson war von seinem All-Blacks-Gegenüber Naholo bereits an der Hüfte umklammert, als Williams auf den wehrlosen Watson zurauschte, um ihm die Schulter ins Gesicht zu rammen. Bereits vor der Regelverschärfung in Sachen Kontakt mit dem Kopf im vergangenen Jahr wäre dies eine rote Karte gewesen - so erklärte Referee Jerome Garces dem abwinkenden Williams „ich habe keine Wahl, das ist rot.“

 



Aber selbst in Überzahl wollte den Lions es aber nicht so recht gelingen, sich in der Hälfte der All Blacks festzusetzen. Auf ansehnliche Kombinationen folgten immer wieder leichte Ballverluste. Den All Blacks wiederum gelang es sich ein ums andere Mal zu befreien - dafür ließ Verbinder Beauden Barrett in seinem Heimat-Stadion gleich drei relativ einfache Kick-Möglichkeiten aus, was sich zum Ende noch rächen sollte. Bis zum Pausentee konnten beide Teams ihr Punktekonto noch auf neun Zähler hochschrauben. Doch das Feuerwerk in spielerischer Sicht sollte in Durchgang zwei folgen.

Die erste Hälfte des zweiten Durchgangs gehört dann eindeutig den Gastgebern in schwarz. Mit den taktischen Hinweisen ihres Coaches Steve Hansen verhielten sich die Spieler der All Blacks unglaublich clever. Ein blitzsauberes taktisches Kick-Spiel und dazu eine großartige Disziplin. Bei den Lions wiederum setzte diese zunehmend aus - speziell Erste-Reihe-Stürmer Mako Vunipola brannten in seiner Geburtsstadt Wellington gleich mehrmals die Sicherungen durch. Erst erwischte er Verbinder Barrett nach dessen Kick zu spät, was den All Blacks drei Punkte per Straftritt bescherte. Dann kassierte er eine gelbe Karte wegen eines unnötigen Cleanouts abseits des Balles, wieder gegen den mindestens 30 kg leichteren Barrett. Zwar schien Barrett erst aufzublicken zum Schiedsrichter gestikulierend um sich dann in Fußballer-Manier zurückfallen zu lassen und am Boden zu wälzen - doch Vunipola konnte sich über die Karte nicht beschweren, denn es war bereits seine vierte Undiszipliniertheit im Spiel.

In dieser Phase zogen die All Blacks zwischenzeitlich zwei weiteren Straftritten auf 18:9 davon, doch bei den in Unterzahl verteidigenden machte sich zunehmend die Ermüdung breit, die Lücken in der sonst so wasserdichten Verteidigung kreierten. Nach einer Gasse lief Verbinder Sexton mit Farrell eine wunderschöne Girlande, erhielt also seinen eigenen Pass nach einer Umrundung Farrells zurück und konnte so Watson auf Außen freispielen. Der machte ordentlich Meter bis er kurz vor der Linie gestoppt werden konnte. Doch die All Blacks Defensive war soweit auseinandergezogen, dass es Sexton und erneut Farrell mit ihrem Passspiel in der nächsten Phase gelang Nummer acht Faletau auf Außen das Mismatch mit Schluss Israel Dang zu ermöglichen, was dieser in bester Kieran-Read-Manier zum Versuch nutzen konnte.

Kurz danach sollten die Lions mit ihrem zweiten Versuch auf 21:21 - die All Blacks hatten zwischenzeitlich ihren siebten Straftritt gesetzt - zum Ausgleich kommen. Erst brachte Verbinder Sexton Hakler Jamie George mit einem wunderschönen kurzen Pass durch die Lücke. Dann konnte Gedrängehalb Conor Murray nach einem schnellen Ruck, wie bereits in Chicago mit Irland, am schnellsten reagieren. Er täuschte erst geschickt den Pass an, schickte All Blacks Neuner Perenara somit in die falsche Richtung und rutschte dann durch die Lücke zum Versuch. Die letzten zehn Minuten würde die Fans auf beiden Seiten dann ihre Fingernägel kosten.

Beide Teams spielten mit offenem Visier und am Ende war es eine doch recht glückliche Entscheidung, die den Lions den Sieg bescherte. Als Lions-Erstz-Prop Kyle Sinckler einen ungenauen Pass von Murray im Springen nehmen musste, erwischte ihn sein All-Blacks-Wiedersacher Famauina an den Beinen und Schiri Garces zögerte nicht. Den resultierenden Straftritt setzte Farrell sicher über die Stangen. Den Lions war mit einer spektakulären Schlussoffensive mit 15 Punkten in 15 Minuten das undenkbare gelungen - die All Blacks doch noch zu schlagen.

 

Genie und Wahnsinn eng beieinander: Sonny Bill Williams



Taktisch gesehen war Gatlands Kniff - zwei Verbinder auf der zehn und zwölf aufzustellen - voll aufgegangen. Doch der eigentliche Schwachpunkt, nämlich auf der Zwölf keinen defensivstarken körperlich robusten Mann stehen zu haben, konnte mit Williams roter Karte nicht zu einem dermaßen großen Problem werden. Dennoch wird Gatland im entscheidenden dritten Spiel wohl wieder dieser Kombination sein Vertrauen schenken. Denn mit Farrell und Sexton kreierten die Lions deutlich mehr Gefahr auf Außen als in Spiel eins, trotz der schlechteren Bedingungen. Ebenso wird sich der im ersten Spiel auf die Bank verbannte Tour-Kapitän Sam Warburton rehabilitiert sehen. Zwar konnte der Waliser keine Turnover kreieren, war aber fast in jeder Kontaktsituation vorzufinden und machte den All Blacks es bei eigenem Ballbesitz schwer ihr schnelles Spiel aufzuziehen. Auch Warburton dürfte also im dritten und entscheidenden Länderspiel im Aufgebot wiederzufinden sein.

Bei den All Blacks gab es nach dem Spiel keine Beschwerden über die rote Karte, man gab sich als sportlicher Verlierer. Darüber zu spekulieren, ob man ohne die rote Karte gewonnen hätte wäre sowieso müßig. Auf jeden Fall bleibt festzuhalten: Die Lions sind alles andere als chancenlos und können auf einen historischen Tour-Sieg hoffen. Das Spiel am nächsten Samstag im Eden Park wird so stark antizipiert werden, wie sonst nur ein WM-Finale. Die Medien in Großbritannien, Irland und Neuseeland kennen kaum ein anderes Thema. Einmal wird es am nächsten Samstag heißen: Alles oder nichts! Wenn es den Lions als erster Mannschaft seit 20 Jahren gelingen sollte die Festung Eden Park zu erobern, dürfte es ein Spiel für die Ewigkeit gewesen sein.

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