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Was ist aus den Springboks geworden? Die Boks stehen nach Versäumnissen vor einem Scherbenhaufen
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Geschrieben von TotalRugby Team   
Donnerstag, 20. Oktober 2016

Die aktuelle Springbok-Mannschaft unter Trainer Allister Coetzee: Meilenweit vom Anspruchsdenken in Südafrika entfernt.
Die aktuelle Springbok-Mannschaft unter Trainer Allister Coetzee: Meilenweit vom Anspruchsdenken in Südafrika entfernt.

Nach der 15:57 Blamage auf heimischen Boden gegen die All Blacks vor zehn Tagen musste sich die aktuelle Springbok-Mannschaft einiges an Kritik gefallen lassen. Mark Reason, Sport-Kolumnist des New Zealand Herald, der wohl angesehensten Zeitung im Land der All Blacks, bezeichnete die aktuelle Mannschaft als die "schlechteste Bok-Mannschaft aller Zeiten." Ex Boks-Flanker Juan Smith sprach von einem Haufen "Schuljungen" im Trikot des zweimaligen Weltmeisters. Doch wie konnte es soweit kommen und wie schafft es die südafrikanische Nationalmannschaft wieder aus diesem Loch?

Viele Springbok-Fans im Rugby-verrrückten Südafrika konnten ihre Wut kaum verbergen und forderten nach der höchsten Heim-Niderlage aller Zeiten den Kopf von Trainer Allister Coetzee. Online erfreute sich eine Petition größerer Beliebtheit, die eine Nominierung von Lions-Coach Johan Ackerman als neuen Trainer der Springboks einforderte. Doch wer meint, der erfolgreiche Trainer des Johannesburger Super Rugby Teams könne das Ruder problemlos rumreißen, irrt. Denn die momentanen Probleme des südafrikanischen Rugby haben mehr als nur mit dem Mann an der Spitze des Trainerteams zu tun.

 

 

Bittere Realität: Vom Leistungsniveau des Weltmeisters ist man meilenweit entfernt

Eine Ursache der momentanen Problematik liegt schlicht in der momentanen Schwäche der südafrikanischen Währung, des Rand. Dieser hat in den letzten Jahren, wie viele Währungen von Schwellenländern rund um den Globus, über ein Drittel an Wert verloren. Umso finanziell attraktiver ist ein Engagement bei europäischen oder japanischen Rugby-Klubs für Südafrikas beste Rugby-Spieler. Eine Schätzung einer südafrikanischen Zeitung nach liegt die Anzahl von südafrikanischen Profis im Ausland momentan bei etwa 350. Natürlich gäbe es nicht für alle diese Spieler Platz in den Super Rugby Teams, der sechs Mannschaften vom Kap. Doch die Konkurrenzsituation in den Currie Cup und Super Rugby Teams wäre dramatisch intensiver, wenn auch nur die Hälfte dieser Spieler ein Engagement in der Heimat anstreben würde. Das wiederum würde ohne jeden Zweifel in einer höheren Leistungsdichte und mehr Optionen für das Trainerteam der Boks resultieren.

Weiterhin hat sich das Profil derjenigen Spieler, die den besseren Verdienstmöglichkeiten Europas und Japans unterliegen dramatisch geändert. Während vor einigen Jahren eher altgediente Spieler ihre Karriere in Europa verlängern wollten, gilt nun selbst der erst 24-jährige Eben Etzebeth als Kandidat für einen permanenten Wechsel nach Europa. Der physisch imposante Zweite-Reihe-Stürmer hat in seinen jungen Jahren bereits über 50 Länderspiele für die Boks absolviert und ist zu einem unverzichtbaren Anker der Mannschaft geworden. Um ihn herum sollte der Sturm der Boks aufgebaut und zu alter Stärke gebracht werden. Stattdessen verbringt der 2,04 m Hüne die Sommerpause mit einem Kurzzeitvertrag in Japan um sein Gehalt aufzubessern und wird von mehreren Topklubs Europas für einen permanenten Wechsel umworben.

SARU, der südafrikanische Verband, wird konkurrenzfähigere Löhne zahlen müssen, um die besten Spieler im Land zu halten. Denn vermehrt Spieler aus Europas Ligen zu berufen, was die Springboks im Gegensatz zu den All Blacks praktizieren, wird langfristig nur ein Pflaster auf eine klaffende Wunde sein. Durch die Kalenderüberschneidungen von Nord- und Südhemisphäre bleibt diesen Spielern gar keine Pause mehr und die Konflikte mit den gut bezahlenden Klubs Europas sind vorprogrammiert. Toulon-Besitzer Mourad Boudjelal beispielsweise drohte seinem Achter Duane Vermeulen im Juni gar mit Kündigung, sollte er für Südafrika statt für seinen Verein auflaufen. Dementsprechend lief der Schlüsselspieler der Boks, der mit seinem genialen Pass im Viertelfinale der WM gegen Wales das Spiel in der Schlussphase zu Gunsten Südafrikas entschieden hatte, in Toulon-Rot und nicht im Bok-Grün auf.

 

 

Gegen Irland noch im Einsatz, in der Rugby Championship nach Toulon-Intervention abwesend: Duane Vermeulen

Doch abseits aller finanziellen Probleme kann man dem Verband auch eine gewisse Konzeptlosigkeit vorwerfen. Während beim neuseeländischen Verband alle Spieler im All Blacks Kader unter Verbands-Vertrag spielen und deren Einsätze dementsprechend genau abgewogen werden, herrscht in Südafrika immer wieder Konfusion über das Für und Wider von Transfers gewisser Spieler von einem zum anderen Team in Südafrika, oder wann angeschlagene Spieler wieder eingesetzt werden sollten. Diesem Mantra folgend kritisierte der selbst stark unter Kritik stehende Boks-Coach Coetzee auch öffentlich die mangelnde Zusammenarbeit zwischen den sechs Super Rugby Teams und dem Team Management der Nationalmannschaft.

Warum aber die Boks seit ihrem WM-Triumph 2007 nicht einer einheitlichen Spielidee folgen, konnte auch Coetzee nicht beantworten. Wie sein Vorgänger Heineke Meyer auch, hatte Coetzee dem alten südafrikanischen Stil abgeschworen. Statt wie über Jahrzehnte alles aus der eigenen Hälfte rauszukicken und mit dem starken Sturm den Gegner zu erdrücken ist ein immer seltener funktionierendes Erfolgsrezept. Doch in den entscheidenden Momenten, wie vor dem Heimspiel gegen die All Blacks, versucht man es am Kap der guten Hoffnung immer wieder mit Altbewährtem. Das Resultat ist bekannt, Südafrika konnte 50 Minuten einigermaßen mithalten, kassierte schlussendlich aber ganze neun Versuche.

Australien und Neuseeland haben mit Ben Smith, Israel Folau und Israel Dagg schlicht zu viele hochbegabte Konterspieler, als dass Südafrika mit den ständigen weiten Befreiungskicks erfolgreich spielen könnte. Mit der im Laufe des Spiels zunehmend ermüdenden Verteidigung ergeben sich zu viele Lücken, die Spieler dieses Kalibers auszunutzen wissen. Jedoch brach Coetzee den Versuch, ein mehr Ballbesitz-orientiertes Spiel mit einer spielstarken Zehn zu implementieren, vorzeitig ab. Das Spielmacher-Duo aus Verbinder und Gedrängehalb, Elton Jantjies und Faf de Klerk von den im Super Rugby erfolgreich und attraktiv spielenden Lions, bekam nur vier Spiele um sich zu beweisen, nur um dann durch den Veteran von Stade Français, Morne Steyn, ersetzt zu werden.

Doch was gilt es jetzt zu tun für die Boks? Schnelle Lösungen wird es nicht geben. Ex-Springbok Ray Mordt beispielweise empfiehlt Coetzee mutiger bei den Nominierungen zu sein und tendenziell eher einen Blick auf die Zukunft des Rugbys in Südafrika zu haben. Jemand wie Siebener-Star Seabelo Senatla könne "auch im Fünfzehner dem Spiel seinen Stempel aufdrücken." Ob junge Talente wie Senatla nun das Allheilmittel sind bleibt fraglich, aber immer wieder Morne Steyn auszugraben, um die Kohlen aus dem Feuer zu holen wird mittel- bis langfristig nichts bringen.

Eine bessere Zusammenarbeit zwischen Nationalteam und Super Rugby Franchises steht für Coetzee selbst ganz oben auf der Agenda. Doch um diese Zusammenarbeit zu verbessern wird es ebenso Zeit brauchen, wie für die Implementierung einer einheitlichen Spielidee. Die Entlassung von Defensiv-Trainer Chean Roux nach dem All Blacks Debakel spricht jedenfalls nicht für größere Geduld beim Verband. Genau diese Geduld wird aber von Nöten sein, um sich zu verbessern. Südafrika hat zweifelsohne die nötigen Ressourcen und das erfahrene Spielermaterial um einen expansiveren Spielplan zu implementieren und den All Blacks auch spielerisch und nicht nur physisch die Stirn zu bieten. Teil der Lösung könnte auch die baldige Rückkehr von Spielmacher Handré Pollard sein, der bei der WM für die Boks die Strippen gezogen hatte. Sein Spiel verbindet die traditionelle Kick-Stärke der Boks mit der Fähigkeit das Spiel schnell und breit zu machen.

Aber das Anspruchsdenken im Land am Kap der guten Hoffnung wird ebenso zu einer Herausforderung werden. Denn im Rugby-verrückten Südafrika misst man sich einzig an den besten. Dass England und Neuseeland momentan meilenweit vorraus sind und Argentinien und Irland dafür Gegner auf Augenhöhe sind, ist die neue Realität, mit der man sich auseinander setzen werden muss.

An talentierten Spielern für ein expansiveres Spiel mangelt es Südafrika nicht

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Kommentare (1)add comment

tilo michaelis said:

396
sehr guter Artikel
jedoch fehlen, meiner Meinung nach, einige wichtige Punkte. Zu einem sollte erwähnt werden, das Coetzee der Trainingsstab gestellt wurde. Eddie Jones (England) zum Beispiel konnte sich seine Trainer aussuchen. Wenn man sich die gestellten Trainer mal etwas genauer anguckt, wird man schnell feststellen, dass zB Stick (Hintermannschaftstrainer) kaum Erfahrung auf einem höheren Niveau hat. Des Weiteren muss man sagen, dass der Fisch am Kopf anfängt zu stinken. Nehmen wir kurz einen Blick auf die Trainer der S18 Provinzen, auch hier mangelt es durchgehend an Erfahrung. Vergleicht man das hier mit Neuseeland sieht man eine Kluft, die meiner Meinung nach erst in ein paar Jahren (insofern man nun Anfängt) behoben werden kann. Als letzten hat der Sportminister auch die Quotareglung eingeführt. (https://www.theguardian.com/world/2016/apr/29/south-africa-racial-quotas-sport-rugby-springboks-cricket) Sodass auch hier nicht unbedingt die beste 23 spielen wird.

Die Währung ist auf jeden Fall ein großer Faktor, aber wenn man sieht, wie das Rugby in SA gefühlt seit 2007 sich kaum weiterentwickelt hat wundert es doch auch keinen.

Bin gespannt wie die EOYT für die Bokke verläuft, denn Franco Smith (Cheetahs Coach, welche in diesem CC bisher ungeschlagen sind) und JP Ferreira (Verteidigung) wurden mit ins Boot genommen. Bleibt nur die Frage, reicht die Zeit? Denn genug Talent gibt es in SA.
Oktober 22, 2016

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