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Entscheidung an der Spitze von World Rugby: Evolution oder Revolution?
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Geschrieben von TotalRugby Team   
Donnerstag, 30. April 2020

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Bill Beaumont (link) und Agustin Pichot streiten sich um den Vorsitz bei World Rugby.

In dieser Woche entscheidet sich, wer den Weltverband World Rugby in den nächsten vier Jahren als Präsident führen wird. Die zwei Bewerber auf den wichtigsten Job im Welt-Rugby liegen nicht nur eine Generation auseinander. Während Herausforderer Agustin Pichot als der Reform-Kandidat gilt, ist der 23 Jahre ältere Amtsinhaber Beaumont der Mann des Establishments. Die Wahl des obersten Rugby-Funktionärs ist derweil von Intransparenz, Hinterzimmer-Deals und Machtspielchen geprägt. Auch beim DRV zeigt man sich über einige Vorgänge verwundert.

Für die Entwicklung des Rugbysports weltweit wird diese Entscheidung richtungsweisend sein. Dennoch dürften nur die wenigsten der über 300 Millionen Fans des ovalen Ballsports weltweit die Wahl des neuen World-Rugby-Presidenten mit gesteigertem Interesse verfolgen. Seit Montag und bis heute wird vom World Rugby Council, einem 52 Mitglieder umfassenden Gremium, per E-Mail entschieden, wer in den nächsten vier Jahren den Weltverband World Rugby leitet - das Ergebnis wird die Öffentlichkeit unvertsändlicherweise aber erst am 12. Mai erfahren.

Zunächst hatte alles nach einer Wiederwahl des seit 2016 im Amt befindlichen Engländers Bill Beaumont ohne Gegenkandidaten ausgesehen, bis Ex-Argentinien-Kapitän Agustin Pichot vor wenigen Wochen quasi in allerletzter Minute seinen Hut in den Ring geworfen hat (TR berichtete). Seitdem macht der 45-jährige Argentinier mit seinem Wahlkampf und Forderungen Schlagzeilen, während Beaumont weitestgehend im Verborgenen an seiner Bestätigung im Amt arbeitet.

Der 68-jährige Engländer, einst selbst Zweite-Reihe-Stürmer und Kapitän der englischen Nationalmannschaft Ende der 1970er bis Anfang der 80er, hatte zuletzt selbst geplante und bereits angekündigte Medienauftritte abgesagt. Sicherlich auch, da der Skandal um den Fidschi-Rugby-Präsidenten (TR berichtete), welcher ihn offiziell zur Wiederwahl nominierte, an seinem Image kratzte und ihm unweigerlich unangenehme Fragen gestellt worden wären. Hinter den Kulissen dürften sich vor allem Beaumonts 21 Jahre als Funktionär beim Weltverband auszahlen.

Unter anderem auch, da die traditionellen Rugby-Mächte im alles entscheidenden Gremium selbst nach einer Reform im Jahr 2015 noch immer das größte Gewicht haben. Allein die Six-Nations-Länder haben mehr als ein Drittel der Stimmen inne, da sie wie die Rugby-Championship-Nationen pro Land drei Council-Mitglieder stellen, während Kontinentalverbände beispielsweise nur zwei Stimmen erhalten und kleinere Rugby-Nationen wie Georgien, Fidschi oder die USA nur eine einzige.

Amtsinhaber Beaumont ist der Favorit

Im Kampf um die WR-Spitze liegt Beaumont nach Einschätzungen der meisten Beobachter vorne. Während die Südhemisphäre und einige Länder aus der zweiten Reihe tendenziell auf der Seite Pichots stehen dürften, weiß Beaumont wohl den gesamten Six-Nations-Block hinter sich. Nur zwei der Six-Nations-Verbände haben laut Aussage Pichots überhaupt sein Gesprächsangebot angenommen, um seine Vorschläge zu diskutieren. Einer davon war der walisische und deshalb galt die WRU bei Beobachtern als Wackelkandidat.

WRU-Präsident Gareth Davies bestätigte gestern den Kontakt mit beiden Kandidaten und beschrieb deren Anliegen als „dynamischen Wandel“ (Pichot) und „Fortschritt“ (Beaumont). Man habe sich nach eingehender Analyse für die „ruhige Hand“ des Engländers Beaumont entschieden, so der ehemalige Weltklasse-Verbinder Davies. Der andere gesprächsbereite Verband war der Irlands, auch wenn sich die Verantwortlichen der IRFU öffentlich bis dato nicht über ihr Stimmverhalten geäußert haben, sei deren Unterstützung für den Amtsinhaber laut Irish Independent aber nie in Gefahr gewesen.

Verwunderung über das Abstimmungsverhalten von Rugby Europe

Rugby Europe verkündete vorgestern per Pressemitteilung bei der Wahl Bill Beaumont zu unterstützen, nachdem das Board von Rugby Europe den Engländer einstimmig unterstützt habe. Beim DRV zeigte man sich verwundert, da Rugby Europe, das die restlichen europäischen Länder bei World Rugby vertritt, den DRV nicht konsultiert habe. Ein TR-Gespräch am heutigen Morgen mit Klaus Blank, dem ehemaligen DRV-Präsidenten und aktuell Deutschlands einzigem Vertreter im Rugby Europe Board, gibt dahingehend Aufschluss.

In einer Sitzung vor drei Wochen, die Corona-bedingt nur per Telefonkonferenz abgehalten werden konnte, war die Personalentscheidung bei World Rugby im Board besprochen worden. Jedoch hatte man die 14 Board-Mitglieder zuvor nicht darüber informiert - das eigentliche Thema der Telefonschalte sei das weitere Verfahren mit den unterbrochenen Rugby-Europe-Wettbewerben gewesen. Erst gegen Ende einer mehrstündigen Sitzung sei, ohne dass dies auf der Tagesordnung gestanden hätte, über die Wiederwahl Beaumonts gesprochen worden.

Rugby-Europe-Präsident Octavian Morariu habe die Bewerbung Beaumonts zusammen mit dessen Vize-Kandidaten Bernard Laporte aus Frankreich formlos durchgewunken, ohne irgendeine Debatte. All dies geschah am 8. April, noch bevor Agustin Pichot am 13. April überhaupt erst seine Kandidatur bekanntgegeben hatte.

Pichots Deal mit Australien, Unterstützung aus Neuseeland

Aber auch Agustin Pichot kennt nach vier Jahren als World-Rugby-Vize die Feinheiten der Verbands-Diplomatie. Als der ehemalige Kapitän von Los Pumas seine Kandidatur bekanntgab, zog sein Heimatverband UAR die Bewerbung Argentiniens für die WM 2027 zurück. Der einzige verbliebene Kandidat für die WM-Ausrichtung ist nun Australien, dessen Verband nun als Unterstützer Pichots gilt. Auch Südafrika und Neuseeland stehen dem Vernehmen nach auf Pichots Seite - Neuseelands Verbandschef Brent Impey begründete dies unter anderem mit dem mangelnden Fortschritt in Sachen vereinheitlichter globaler Kalender.

Kommerziell könnten Neuseeland, Australien und Südafrika künftig noch weiter von Europas Top-Nationen abgehängt werden. Auch deshalb waren diese Verbände für Pichots Vorschlag die Six Nations und die Rugby Championship in eine Weltliga zu integrieren mit zwei Spielphasen im Frühjahr und Herbst. Die Vorbehalte bei den Six Nations, denen vor allem daran gelegen ist ihre finanziellen Pfründe zu sichern, waren groß. Speziell, da eine Regelung mit Auf- und Abstieg aus und in die Six Nations unvermeidbar gewesen wäre. Keine Überraschung also, dass Italiens Verbandspräsident als einer der ersten seine drei Stimmen für Beaumont auf Twitter ankündigte.

Viele kleinere Verbände würden vermutlich am ehesten von einer Präsidentschaft Pichots profitieren, der neben einem globalen Wettbewerb auch eine gerechtere Verteilung der Einnahmen versprochen hat. Aber ausgerechnet der Verband Fidschis war der erste öffentliche Unterstützer Beaumonts und laut neuseeländischen Medienberichten hat der samoanische Verband Beaumont schon bei der WM seine Unterstützung zugesichert. Anders könnte es bei Georgien, den USA und Japan aussehen.

Das endgültige Ergebnis wird die Öffentlichkeit erst in zwei Wochen erfahren. Viele Fans und Ex-Spieler, wie England-Verbinder Andy Goode, Weltmeister-Trainer Sir Clive Woodward oder USA-Trainer Garry Gold haben öffentlich Pichot unterstützt. Doch die öffentliche Meinung zählt in dieser Frage relativ wenig. Die üblicherweise in Rugby-Fragen gut informierte Daily Mail erwartet einen knappen Sieg Beaumonts mit zwei Stimmen. Klarheit wird schlussendlich erst am 12. Mai herrschen.

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