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TR-Review: Schottland schreibt Geschichte, Irland gewinnt Thriller und Frankreichs siegt glanzlos
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Geschrieben von TotalRugby Team   
Samstag, 24. Februar 2018

Schottland mit dem langersehnten Triumph gegen England - nach zehn Jahren war es soweit. Foto (c) Paul Ripke
Schottland mit dem langersehnten Triumph gegen England - nach zehn Jahren war es soweit. Foto (c) Paul Ripke

Was für ein grandioses Six-Nations-Wochenende - während das Auftaktspiel am Freitag Abend, die historische Premiere des Sechs-Nationen-Turniers in Marseille, noch eher bieder daherkam, hatte es der Super-Samstag in sich. Erst lieferten sich Wales und Irland einen Thriller bis zur allerletzten Sekunde. Doch das war nichts im Vergleich zu dem, was noch kommen sollte. Schottland lieferte eine Leistung für die Ewigkeit ab und schlug England erstmals nach einer Dekade ohne Versuch und Sieg gegen den Erzrivalen.

Schottland 25 - 13 England

Was für ein Spiel. England kommt als haushoher Favorit nach Edinburgh: Mit 24 Siegen aus 25 Siegen unter Eddie Jones und, so waren sich fast alle Experten einig, auf dem Weg zum historischen dritten Six-Nations-Sieg in Folge. Die Gastgeber dagegen waren in diesem Turnier gleich zu Beginn von Wales entzaubert worden und hatten seit sage und schreibe zehn Jahren nicht gegen England gewonnen, geschweige denn einen einzigen Versuch gelegt.

Doch das sollte sich heute ändern und zwar gewaltig. Sollte es den Schotten noch irgendwie an Motivation gefehlt haben, dann sorgte Englands erster Innen Owen Farrell dafür, dass die Schotten bis unter die Haarspitzen motiviert waren. Farrell hatte schon im Vorjahr Schottland-Neuner Laidlaw abseits des Balles und nach dem Schiri-Pfiff umgerempelt und sorgte nun schon vor dem Anpfiff für einen Eklat. Am Eingang zum Spielertunnel rempelte er sich durch zwei Schotten und löste, als die Teams vom Warm-Up in die Kabine kamen, für ein erstes Handgemenge.

 

Star-Fotograf Paul Ripke war für DAZN in Edinburgh und hat das Geschehen im Bild festgehalten

Als die Teams wieder aus den Katakomben erschienen war es angerichtet. Die Schotten legten mit einer Intensität in den Kontaktsituationen und mit einer Geschwindigkeit im offenen Spiel los, auf die England über das gesamte Spiel keine Antwort fand. Ein richtiges Abtasten fand bei großartigen Bedingungen in der schottischen Hauptstadt nie statt. Früh konnten die Gastgeber ein erstes Ausrufezeichen setzen: Nach einem der zahlreichen guten Pakete der Schotten steckte der stark verbesserte Schottland-Verbinder Finn Russell tief in der 22 einen Bodenroller zwischen die aufrückende Defesnvise - Englands Außen Watson und Schluss Brown bekamen den Ball nicht unter Kontrolle, stattdessen sammelte der überragenden Innen Huw Jones die Murmel auf und legte sie im Malfeld wieder ab.

Murrayfield stand zum ersten Mal Kopf und die nicht gerade erfolgsverwöhnten Fans Gastgeber sollten noch mehr zu jubeln haben. Mit unermüdlicher Intensität arbeiten sich Schottlands Stürmer nach dreißig Minuten Richtung Linie - doch dann war es wieder Verbinder Russel, der den entscheidenden Impuls gab. Erst spielte er mit einem gewagten Pass an der eigenen 22 Huw Jones frei, welcher mit einem unglaublichen Lauf bis in die englische 22 kam. Dann war es bereits tief in der 22 ein Lupfer von einem Pass von Russel über die englischen Innen, die versuchten den Passweg abzuschneiden, der Außen Maitland ein einfaches Finish ermöglichten.

Doch noch hatte Schottland nicht genug in dieser Hälfte - ziemlich genau an der Mittellinie war es erneut Innen Huw Jones, der aus dem Rückraum mit Speed kam und mit einem Weltklasse-Pass von Gedrängehalb Greg Laidlaw bedient wurde. Jones durchbrach erst die Linie indem er das Tackle von Heißsporn Farrell und dem wiedergenesenen Achter Nathan Hughes durchbrach, bevor er kurz vor der Linie scheinbar von Außen Watson und Schluss Brown gestoppt wurde. Doch Jones, der einen absoluten Weltklasse-Tag erwischte und mit seinem Gegenspieler Jonathan Joseph Katz und Maus spielte, zerrte die beiden Engländer schlicht mit sich und knallte den Ball schließlich zum dritten Schottland-Versuch auf die Linie.

Mit dem Pausenstand von 22:6 roch es in Edinburgh schon stark nach einer Sensation, doch noch immer hatte man das Gefühl, dass England eventuell noch Reserven im Tank haben könnte. Tatsächlich startete England weitaus besser in Durchgang zwei - nach nur wenigen Minuten hatten sich Englands starke Ballträger im Sturm Vunipola und Hughes mit starken Runs bis in die 22 gearbeitet. Dort fand Englands Neuner Danny Care dann mit einem Sahne-Pass den heranstürmenden Farrell, der zum 13:23 Anschluss aus englischer Sicht ablegen konnte.

Nun folgte Englands beste Phase und die im Stadion vielfach vertretenen Farben England jubelten nun zwei Mal verfrüht: Erst fing Danny Care einen Pass zum scheinbar sicheren Versuch ab. Doch Zuvor hatte Zweite-Reihe-Stürmer Launchbury den Ball illegal langsam gemacht und so pfiff Nigell Owens Care zurück. Dann flog der Ball nach einem krachenden Tackle von Courtney Lawes frei und Watson sowie Farrell konnten ihn erst nach vorne kicken und dann bis ins Malfeld tragen. Doch Owens schaltete den TMO ein, der erkannte, dass Lawes während des Tackles den Ball nach vorne katapultiert hatte. Kein Versuch, richtige Entscheidung.

In der Schlussphase schwächte sich England dann selbst. Der eingewechselte Flanker Underhill, der zuvor zwei Straftritte für seine Mannschaft herausgeholt hatte, übertrieb es dann mit der nötigen Aggression. Ohne die Arme zu nutzen verpasste er einem Schotten einen Schulter-Hit kurz unterhalb des Kopfes und konnte froh sein nur mit Gelb die Schlussphase zu verpassen. Russell setzte den fälligen Straftritt und mit 25:13 ging es in die Schlussphase. In dieser verteidigten die Schotten heroisch und als Kapitän Barclay nur 120 Sekunden vor dem Ende Englands letzten vielversprechenden Angriff mit einem herausgeholten Straftritt beendete war allen klar: Schottland würde Geschichte schreiben.

Mit dem Abpfiff verfiel Murrayfield in einen kollektiven Jubelzustand. Die 70.000 im größten Stadion Schottlands sangen noch Minuten nach dem Abpfiff Flower of „Scotland“ und man kann es nicht oft genug betonen: Das war überragender Sieg des Underdogs. Nicht nur hatten die Schotten seit zehn Jahren keinen Versuch oder Sieg gegen England feiern können - sie hatten auch erst vor Jahresfrist die höchste Pleite gegen England jemals kassiert.

Englands Coach Eddie Jones zeigte sich als fairer Verlierer - es sei mehr eine grandiose Leistung der Schotten gewesen, als eine schlechte seines Teams. Schottland Kapitän Barclay betonte, dass man sich auch nach dem verkorksten Wales-Auftakt nicht aufgegeben habe und dadurch heute den Triumph habe einfahren können.

 

Irland 37 - 27 Wales

Zuvor am Nachmittag hatte sich Irland bereits die Favoriten-Rolle auf den Titel mit einem Bonuspunkt-Sieg über Wales gesichert. Dabei waren die Gäste von der anderen Seite der irischen See keineswegs unterlegen und waren mit abgelaufener Spielzeit noch drauf und dran das Spiel zu ihren Gunsten zu drehen. Doch ein von Irlands jungem Star auf Außen, Jacob Stockdale, abgefangener Versuch zum fünften und letzten Versuch der Gastgeber beerdigten die Hoffnungen auf eine Überraschung der Waliser.

Vor dem Schlusspunkt durch Stockdale hatten die Zuschauer im ausverkauften Stadion an der Dubliner Lansdowne Road ein über 80 Minute packendes Spiel gesehen. Stockdale war dabei bereits nach fünf Minuten war der erste Schlag für die Gastgeber gelungen - Irland hatte sich mit seinem starken Sturm und der XXL-Innen-Kombination aus den physisch dominanten aber mit wenig spielerischer Raffinesse gesegneten Aki und Farrell bis tief in die 22 gearbeitet. Ein messerscharfer Pass von Verbinder Sexton an fünf Spielern vorbei flach auf Stockdale hatte diesem einen einfachen Einlauf ins Malfeld ermöglicht.

Sexton blieb in dieser Phase wie im ganzen Spiel vom Tee schwach und vergab Teils einfache Kick-Chancen, anders machte es Wales-Schluss und Kicker Leigh Halfpenny: Der wohl beste Kicker im Welt-Rugby machte seinen Fehler beim ersten Irland-Versuch - er war zu rasch rausgestürmt und ermöglichte Stockdale so den einfachen Versuch - mit zwei blitzsauberen Straftritten und einer Erhöhung gut. Wales hatte sich über seine sehr mobile dritte Sturmreihe in eine gute Position gebracht und dann hatte Irlands Innen Bundee Aki die Situation eigentlich durch einen absichtlichen Vorball zu Nichte gemacht. Doch Akee umging die fällige Gelbe, da Wales-Neuner Gareth Davies die Murmel aufsammelte und gleich zwei Iren zur Gäste-Führung umkurvte.

Doch noch vor dem Pausen-Pfiff sollte Irland angetrieben von seinen Anhängern im Dubliner Süden zurückschlagen. Mit fast drei Vierteln Ballbesitz musste Wales Defensive irgendwann schwächeln. Wieder war es der im Vergleich zu Wales eher monotone und auf Kraft statt Cleverness beruhenden Spielstil der die Gastgeber an die Linie brachte. Dort bahnte sich der kurz zuvor noch gerade so einer gelben Karte entgangene Akee seinen Weg unwiderstehlich durch zwei Tackles zur 15:13 Führung. Diese wäre noch weitaus deutlicher ausfallen können, hätte Verbinder Sexton nicht acht Kick-Punkte liegen gelassen. Irland Coach Schmidt sollte später eine Golf-Metapher heranziehen, um Sextons Leistung zu beschreiben: „Seine Abschläge waren toll, nur die Puts saßen noch nicht.“

In Durchgang zwei sollte Irland erst einmal mehr vom Ball haben und erneut waren die überlegenen irischen Tight Five dafür verantwortlich, dass Die Gastgeber nah an die Linie kamen. Dieses Mal vollendete mit Dan Leavy der erst 23-jährige Leinster-Flanker, der in seiner Heimatstadt den Tullow Tank Sean O’Brien vertreten durfte. Und Irland konnte nachlegen: Wieder tief in der 22 war es plötzlich Johnny Sexton, der mit einem Pick-and-Go auf der kurzen Seite nah an die Linie kam, wo der mächtige Prop Cian Healy keinen Meter mehr machen musste, um über die Linie zu kommen. Beim Stand von 27:13 und 80% Ballbesitz für Irland glaubten wenige an der Lansdowne Road an ein Comeback von Wales.

Doch die Gäste sollten es tatsächlich noch einmal spannend machen - der eingewechselte Außen George North, der den blassen Liam Williams ersetzte, hatte einige starke Runs - und anders als die Gastgeber zogen die Waliser das Skalpell der Brechstange vor. Ein schneller Spielzug in der Mitte und ein toller Überpass vom ersten Innen Hadgleigh Parkes spielten Flanker Josh Navidi auf Außen frei. Mit einem Pass auf den Innen Unterstützung laufenden anderen Flanker Shingler gelang Wales der Anschluss. Ein Straftritt von Conor Murray mit fünf Minuten auf der Uhr schien das Wales Schicksal eigentlich zu besiegeln - doch quasi im Gegenzug schlug Wales ein weiteres Mal zurück. Ein Weltklasse-Offload vom zweiten Innen Owen Williams spielte erneut Navidi frei und dem Flanker gelang nur wenige Minuten nach seinem ersten der zweite Try-Assist auf Außen Steff Evans.

Doch die Schlussoffensive der Waliser, die mit drei Zählern Rückstand bis in die Nachspielzeit drückten, sollte in der Katastrophe enden. Ein spekulativer Pass vom eingewechselten Verbinder Gareth Anscombe wurde von Irlands Außen Stockdale abgefangen - hätte dieser als letzter Verteidiger nicht zugegriffen hätte der Sieger wohl Wales gehießen. Doch so sprintete Jacob Stockdale ohne Gegenspieler in Sicht ins Malfeld unter dem erleichterten Jubel der Heim-Anhänger.

Irland ist nun der unangefochtene Tabellenführer des Sechs-Nationen-Turniers und kann sich langsam auf ein Duell am St. Patrick’s Day um den Titel mit England einstellen. Selbst eine Heimpleite gegen Schottland in zwei Wochen ließ den Iren alle Möglichkeiten. Für Wales ist der Titel dagegen de factor außer Reichweite - zwei Niederlagen trotz guter Leistungen machen alle Chancen der Dragons zu Nichte. Auch wenn mit Italien daheim und Frankreich die Spiele gegen die vermeintlich schwächsten Gegner anstehen.

Frankreich 34 - 17 Italien

Bereits am Freitag-Abend hatten sich Frankreich und Italien das Duell der bisher sieglosen Teams geliefert. Während die Konstellation nicht sonderlich aufregend war, überraschte der französische Verband mit dem Austragungsort Marseille und dem spektakulären Velodrome der Hafenstadt. Erstmals in Frankreichs fast 100-jähriger Geschichte im Turnier wurde ein Spiel abseits von Paris ausgetragen. Doch angesichts tausender freier Plätze - Teils bedingt durch die astronomischen Eintrittspreise, die man in Paris eher gewillt ist zu zahlen als im bedeutend ärmeren Marseille, sowie die chronische Erfolglosigkeit der Blauen - wird man beim Verband sicher so schnell nicht noch Mal ein Spiel nach Marseille vergeben. Und das obwohl Lokalklub Toulon das Velodrome regelmäßig bis auf den letzten Platz füllt.

Auf dem Platz hatten die Franzosen sich früh ein Übergewicht erarbeitet und waren nach einem Paket und drei kurzen Phasen durch den jungen Stade-Français-Stürmer Paul Gabrillagues in Front gegangen. Frankreich wollte früh klare Verhältnisse schaffen und setzte gleich den nächsten Straftritt in die Ecke - doch dieses Mal sollte, wie am gesamten Abend, Italiens Defensive das französische Paket neutralisieren. In der Folge gelang es den Franzosen selten aus ihrem auf dem Papier bestehenden spielerischen Übergewicht Kapital zu schlagen. Oft erstickten Italiens Flanker Negri und Mbanda den Spielfluss, indem sie die Rucks langsam machten.

Stattdessen setzte Italien noch vor der 15-Minuten-Marke selbst zu einem unwiderstehlichen Paket an, welches zu einem Strafversuch führte. Italien hatte jegliches Momentum der Franzosen gestoppt und konnte die Franzosen in ihren Versuchen Spielfluss zu kreieren ebenso stoppen. Lediglich Straftritte auf beiden Seiten sollten folgen und mit nur noch 18 Minuten auf der Uhr lag Italien beim Stand von 14:10 für die Gastgeber noch im Spiel. Frankreich sollte einen Geniestreich von Mathieu Bastareaud brauchen, um sich endlich aus der Defensiv-Umklammerung zu befreien.

Der Innendreiviertel im Körper eines Erste-Reihe-Stürmers stürmte mit viel Wucht in die Lücke zwischen zwei Azzurri-Verteidigern - im Kontakt gelang der Frankreich-Wuchtbrumme dann ein Offlaod im Stile von Sonny Bill Williams auf Schluss Hugo Bonnevalle, der dann im Doppelpass mit Außen Grosso den Weg über die Linie fand. Nun fand Frankreich gegen müder werdenden Italiener auch offensiv mehr und mehr statt.
Nach einem schönen Konter nach einem Befreiungskick über den Achter Tauleigne und den mit ihm Doppelpass spielenden Grosso war es Bastareaud, der sich für seine Leistung belohnen konnte. Aus kurzer Distanz wuchtete er sich den Weg durch die Italien-Defensive und dabei durch das Tackle seines ehemaligen Team-Kollegen bei Stade Français Parisse. Dieser hatte wohl sein schlechtestes Spiel im Azzurri-Shirt seit langem.

Frankreich war nun nur noch einen Versuch vom Bonus entfernt, der „les Bleus“ vielleicht vage Hoffnungen auf einen Turnier-Sieg hätte bescheren können. Doch Frankreich, wie so oft in letzter Zeit, enttäusche auch diese Erwartungen. Stattdessen gelang Italien mit dem eingewechselten Zehner Carlo Canna noch der schönste Versuch des Spiels. Nachdem Verbinder Canna die Spielrichtung gewechselt hatte, setzte sich Italien mit nur noch zwei Minuten auf der Uhr sehenswert durch. Der bisher im Spiel blasse Hoffnungsträger Minozzi auf der Schlussposition sicherte schlussendlich den Versuch. Dabei sollte es bleiben.

Erneut zu wenig für Italien, aber auch bei Frankreich wird niemand sonderlich zufrieden sein über die 6-Nations-Premiere in Marseille. Viele freie Plätze, ein relativ dröges Spiel und als erste Mannschaft gelingt es den Franzosen nicht den Bonus gegen Italien einzufahren. Es wird wohl ein weiteres verlorenes Jahr für die Franzosen.

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