World Rugby dreht an den Regelstellschrauben - Ziel ist es das Spiel flüssiger zu machen
Geschrieben von TotalRugby Team   
Montag, 31. Juli 2017

Spieler wie Jaco Otto sind ein ständiger Gefahrenherd im Ruck - Inwiefern sich das durch die Ruck-Regeländerungen ändert bleibt abzuwarten. Foto (c) Seufert-Chang
Spieler wie Jaco Otto sind ein ständiger Gefahrenherd im Ruck - Inwiefern sich das durch die Ruck-Regeländerungen ändert bleibt abzuwarten. Foto (c) Seufert-Chang

Mit Blick auf die kommenden Rugby-WM in Japan will der Weltverband World Rugby unser Spiel flüssiger machen. Nachdem die Nettospielzeit in den letzten Jahren bereits signifikant gestiegen war - man denke vor allem an die 5-Sekunden-Regel im Ruck, die verhindert, dass die im Ballbesitz befindliche Mannschaft Zeit schindet, indem sie den Ball künstlich lange im Ruck hält - soll dieser Trend nun weiter verstärkt werden.

Am ewigen „Sorgenkind" Gedränge wird weiter feinjustiert, aber ebenso stehen deutliche Veränderungen im Ruck an. Nachdem die Regeln bereits bei der U-20-WM im vergangenen Monat in Georgien getestet wurden, werden die aktuellen Anpassungen für die kommende Saison vorläufig eingeführt und im Erfolgsfall dauerhaft implementiert. Ziel der Regel-Novellen ist es das Spiel „flüssiger und übersichtlicher“ zu machen bestätigt auch der Vorsitzende der Schiedsrichtervereinigung (SDRV) Ralf Tietge gegenüber TotalRugby.

Änderungen im Gedränge

Der Achter kann im Gedränge den Ball aus dem Gedränge heraus nehmen - und muss nicht darauf warten, dass der Ball herauskommt

Diese Regel-Änderung bestätigt eigentlich nur die gängige Praxis. Theoretisch musste die Nummer acht nach bisherigem Regelstand warten, bis der Ball zwischen den eigenen Beinen liegt, bevor er/sie ihn aufnehmen kann. Nunmehr ist es also erlaubt den Ball „aus der zweiten Reihe“ aufzunehmen, der bisher fällige Freitritt entfällt.

Mit der Änderung wird die im Ballbesitz befindliche Mannschaft bevorteilt, da die Wahrscheinlichkeit, dass der Ball unkontrolliert aus dem Gedränge schießt und die Spielsituation damit unübersichtlich und gefährlich wird, minimiert wird. Nachdem der gegnerische Neuner bereits seit der letzten Regel-Änderungen den Achter nicht mehr bei der Aufnahme des Balles stören kann, wird die Situation für die einwerfende Mannschaft nun noch weiter verbessert.

Das Signal vor dem Einwurf ins Gedränge entfällt, der Gedrängehalb darf nun leicht versetzt stehen

Zwar ist die Zahl der neuangesetzten Gedränge seit der Eliminierung des „Hits“ merklich zurückgegangen - doch insgesamt bleibt das Gedränge das größte Sorgenkind im globalen Rugby. Die Maßgabe, dass der Einwurf in das Gedränge mittig erfolgen soll, scheint mit dieser Direktive endgültig obsolet zu sein. Zwar bleibt der gerade Einwurf auf dem Papier weiterhin erforderlich, doch wer in den letzten Monaten beispielsweise All-Blacks-Gedrängehalb Aaron Smith beim Einwurf beobachten durfte, dem wurde klar: Der gerade Einwurf wird einem schnellen Spielverlauf untergeordnet. Frei nach dem Motto: Lasst uns das Gedränge lieber schnell über die Bühne bringen.

Ab morgen gilt damit nunmehr: Der Gedrängehalb muss nicht mehr exakt mittig stehen, sondern es genügt, wenn eine seiner beiden Schultern auf Höhe der Mitte des Gedränges ist. Damit bekommt der Neuner ein paar entscheidenden Zentimeter, die dem Hakler es vereinfachen dürften, den Ball in die eigene zweite Reihe zu befördern.

Von nun an muss ein Erste-Reihe-Stürmer den Ball hakeln - dies soll den geraden Einwurf gewährleisten

Der Ball soll dadurch nicht mehr einfach in die zweite Reihe eingeworfen werden können. Der Ball dürfte so nicht ohne Hakeln erfolgreich gewonnen werden können.

Änderungen im Ruck

Selbst wenn nur ein einziger Spieler über dem Kontaktpunkt steht, gilt dies nun bereits als Ruck

Während es bis dato Spieler zweier Mannschaften bedurfte um ein Ruck zu formen, ist dies nun nicht mehr der Fall. Beim Weltverband sah man sich zu dieser Novelle gezwungen, da in den vergangenen Jahren mehr und mehr Teams dieses vermeintliche Regelschlupfloch ausgenutzt hatten. Indem Mannschaften sich gar nicht erst in das Ruck bewegt hatten, konnten ihre Spieler weit hinter der Tackle-Situation auf gegnerischer Seite den Spielaufbau der anderen Mannschaft stören. Dies sah nicht nur äußerst ungewöhnlich aus, es störte auch zunehmend den Spielfluß. Führend bei dieser Taktik waren die Chiefs aus Neuseeland um Erfolgs-Coach Dave Renny. Aber auch Italien hatte beim diesjährigen Sechs-Nationen-Turnier England am Rande einer Niederlage.

 

Nach den bisherigen Regeln legal, nun unmöglich: Italiens Taktik bei den Six Nations



Schiedsrichter-Verbands-Vorsitzender Tietge hält diese Änderung für „gewöhnungsbedürftig aber konsequent“, da man heutzutage Rugby spiele ohne jedes offene zu umkämpfen. Chaotische Spiele, wie das der Italiener gegen England werden so vermieden und im Endeffekt gibt es so „klarere Abseitslinien“ ist sich Tietge sicher.

Selbst der Tackler muss nun im Ruck durch das „Gate“ kommen

Mit der bisherigen Regel-Interpretation konnte der Tackler, sobald er wieder auf den eigenen Füßen stand, um den Ball kämpfen. Jedoch unterschied sich die Regelauslegung verschiedener Schiedsrichter selbst auf Profi-Niveau oftmals deutlich voneinander. Nicht selten sah man ein dem Gefühl nach völlig legalen Ballklauversuch eines wieder auf den Beinen stehenden Tacklers, der mit dem Argument abgepfiffen wurde, dass ein Ruck geformt sei.

Nach der neuen Regelauslegung muss selbst der Tackler zurück und durch das imaginäre Tor kommen, um den Ball klauen zu dürfen. Spieler wie David Pocock aber auch der legendäre Richie McKaw wären unter diesen Vorraussetzungen niemals dermaßen effektiv geworden. Zwar bestätigt SDRV-Chef Tietge, dass nun zumindest für alle Spieler gleiche Voraussetzungen in Sachen Zugang zum Ruck gelten - jeder müsse nun durch das imaginäre Törchen. Jedoch sei man beim SDRV skeptisch, da die angreifende Mannschaft zu sehr bevorteilt würde und die Chance zum Ballbesitzwechsel deutlich geringer sei.

 

Der südafrikanische Sport-Fernsehen hat einen guten Beitrag zur Erklärung mit Weltmeister Victor Matfield produziert



Den Ball aus dem Ruck zu kicken, selbst als legal auf den Füßen stehender Teilnehmer des Rucks, ist von nun an verboten

Auch diese Änderung zielt darauf der angreifenden Mannschaft schnelle und saubere Rucks zu ermöglichen. Legal durch das Gate kommend das Ruck zu bearbeiten und den Ball per Fuß hinauszubefördern war eine beliebte Taktik um schlecht verteidigte offene Gedränge zu attackieren - gehört nun aber der Vergangenheit an. Gerade für am Boden liegende Spieler, die bis dato gerne den einen oder anderen Stollen abbekommen haben, eine gute Nachricht.


Fazit

Insgesamt ist die Intention des Weltverbandes klar: Rugby soll in den Rucks, bzw. durch das Vermeiden ewiger Wiederholungen der Gedränge schneller gemacht werden. Die Logik dahinter - je länger der Ball im Spiel ist, desto schneller ermüden Spieler und desto eher ergeben sich Lücken in den Defensiv-Reihen. Man bedenke nur das blitzschnelle Spiel der All Blacks, die viele ihrer Spiele in den letzten Jahren in der Schlussviertelstunde extrem deutlich gestalten konnten. Durch ihr extrem schnelles Phasenspiel rieben sie zuvor die Defensive auf.

Doch ebenso fielen in den letzten Jahren sehr viele Versuche nach Turnovern. Gerade auch die Weltmeister aus Aotearoa zeigten sich besonders dann gnadenlos, wenn sie sich über Spieler wie Sam Cane oder Dan Coles die Murmel vom Gegner geklaut hatten. Unorganisierte Defensivreihen sind ein optimales Ziel für technisch starke und schnelle Mannschaften. Mit den nunmehr erschwerten Bedingungen zum Ballklau dürfte dies abnehmen.

Ein Spieler wie David Pocock sorgte als ständige Gefahr aber auch dafür, dass im Schnitt mehr Spieler in den Rucks waren, um den Ballbesitz gegen den Weltklasse Flanker zu sichern und somit nicht zum Angriff zur Verfügung standen. Es bleibt abzuwarten welcher Effekt überwiegt und genau dafür ist diese einjährige Testphase da. Die Intention Rugby noch ansehnlicher zu machen ist eine gute. Jedoch wie beim Rugby-League jeglichen Kampf um den Ballbesitz nach und nach abzuschaffen wiederspricht dem Geiste unseres Spiels.

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Kommentare (1)add comment

heinrich severin said:

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warum nicht gleich unumkämpfte gedränge?
es wäre ein leichtes gewesen, die unparteiischen anzuweisen, jeden regelwidrigen, insbesondere schiefen einwurf ins gedränge konsequent zu sanktionieren, im wiederholungsfall durch straftritt und ggf. gelber karte. nun hat man kapituliert unter dem vorwand der beschleunigung des spiels. schade!
August 02, 2017

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Letzte Aktualisierung ( Montag, 31. Juli 2017 )