Lofty Stevenson: "Wir müssen jetzt handeln und wir müssen schnell handeln!"
Geschrieben von TotalRugby Team   
Donnerstag, 30. Juni 2011

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Lofty Stevenson fordert mehr Transparenz im Deutschen Rugby-Verband - (c) Jürgen Keßler

Wir haben uns vor kurzem mit dem ehemaligen 7er-Nationaltrainer Lofty Stevenson zu einem ausführlichen Interview verabredet. Der Kiwi ist seit nunmehr drei Jahren in Deutschland und hat dabei schon einige sportliche Stationen erlebt, so war Lofty neben der 7er-Auswahl u.a. für die U21-Nationalmannschaft,  die Deutschen 15er-Frauen, den SC Frankfurt 1880 und den RK 03 Berlin verantwortlich. Er kennt also die vorherrschenden sportlichen Strukturen in Deutschland besser als die meisten anderen. Daher geht es in unserem Interview nicht nur, um seine ehemaligen Lieblingsschüler aus dem 7er-Team, sondern auch um eine mögliche Neuausrichtung des Deutschen Rugby Verbandes.

Du hast in Deiner Zeit in Deutschland Rugbyteams auf allen Leistungsebenen betreut, was muss aus sportlicher Sicht getan werden, damit das Deutsche Rugby erfolgreich sein kann?

Wir brauchen Unterstützungssystem, von den Vereinen bis hin zum Verband. Die Leute müssen anfangen gemeinsam zu arbeiten. Momentan haben wir sehr viele gute Leute, die größtenteils auch gute Arbeit leisten, aber ihre Konzepte sind häufig kontraproduktiv. Das größte Problem welches mir dabei aufgefallen ist, ist die fehlende Transparenz. Wenn es uns gelingt endlich zusammenzuarbeiten, wird vieles einfacher werden. Wir müssen ein kollektives Denken entwickeln und dann eine Lösung finden, die nicht nur heute für meinen Klub gut ist, sondern auch in der Zukunft noch für meinen Klub, die anderen Klubs und auch für die Nationalmannschaften positiv ist.

Wie können wir diese Transparenz von der Du sprichst erreichen?

Dafür brauch man natürlich eine wirtschaftliche und eine strategische Planung. Wenn ich in eine Firma oder in eine Organisation komme, ist meine erste Frage die nach dem Businessplan. Wenn sie ihn noch nicht haben sollten, setzt man sich gemeinsam hin und erstellt einen. Aber Du kannst Dich nie hinsetzten und einen Businessplan erstellen, wenn Du nicht vorher eine strategische Planung gemacht hast. Wenn wir also eine Strategie haben, können wir die Dinge die wir tun wollen an dieser messen und sehen ob sie umsetzbar sind. Im Moment ist es ganz offensichtlich, dass es uns genau daran fehlt. Wir haben großartige Leute, aber es fehlt an Struktur, wir haben kein System und wir haben keine klare Strategie. Vielleicht liegt ein Blatt Papier mit solchen Planungen in irgendeinem Büro, aber wissen die Vereine darüber Bescheid? Wir müssen genau diese Dinge für alle zugänglich machen. Dann werden viele Entscheidungen mit Sicherheit auch besser nachvollziehbar.

Das Deutsche Rugby wankt auf allen Ebenen. Die 7er-Nationalmannschaften tun sich schwer, die 15er-Damen wurden aufgelöst, die 15er-Herren sind abgestiegen und befinden sich prompt wieder im Abstiegskampf, die Talente der U18-Nationalmannschaft haben kein Team, in welchem sie sich weiterentwickeln können. Am 16. Juli wird ein neuer Vorstand gewählt, welche Maßnahmen müssen der neue Präsident und sein Team anstoßen, um diese Abwärtsspirale zu stoppen?

Hier komme ich wieder zur Planung. Der neue Präsident, oder die neue Führungsriege, braucht Pläne und diese Pläne müssen für alle zugänglich gemacht werden. Das Ehrenamt hat sich für eine solche Position überholt, der neue Präsident muss fünf Tage die Woche arbeiten. Claus-Peter Bach hat unheimlich viel und gut gearbeitet, es blieb ihm nichts anderes übrig, aber wir brauchen jetzt Profis am Werk. Wir brauchen Leute die die Fähigkeiten und die Zeit haben, um das schlingernde Boot wieder auf Kurs zu bringen. Wenn wir das nicht hinbekommen, dann werden wir meiner Meinung nach scheitern.

Woher kommt  das Geld für einen professionellen Vorstand und sollte der Job von einem Rugbyexperten übernommen werden, oder einer Person die vorher nicht besonders viel mit Rugby am Hut hatte dafür aber vielleicht wirtschaftlich ein Fachmann ist?

Wir haben leider keine Zeit, um jemand 4-5 Jahre zu einem Rugbyexperten auszubilden. Wir müssen jetzt handeln und wir müssen schnell handeln. Man muss zu den Leuten gehen – auf ihren Platz, in ihr Klubhaus - um zu lernen wo die Probleme liegen. Es dauert mindestens ein Jahr um uns neu zu strukturieren. Aber wir sind nicht die ersten die vor so einer Aufgabe stehen, ich habe einen ähnlichen Prozess in Neuseeland miterlebt, die Waliser haben es getan und viele viele andere. Es ist an der Zeit es zutun, umso länger wir warten, umso größer wird das Chaos, welches wir anrichten. Es ist natürlich möglich Leute von außerhalb hinzuzuziehen, aber meiner Meinung nach, sollten diese nach wie vor Anleitungen von „echten“ Rugbyleuten erhalten, die sich auskennen und die Leute kennen.

Gefühlsmäßig steht der Deutsche Rugby-Verband momentan immer so kurz vor dem Bankrott. Uns fehlt das Geld etwas zu entwickeln und wir sind stattdessen unentwegt mit dem Überlebenskampf beschäftigt. Ist es richtig so an der jetzigen Organisation festzuhalten, oder sollten wir den Karren einmal richtig vor die Wand fahren, um dann ganz neu zu beginnen?

Ohne die Bücher gesehen zu haben, kann man das nicht genau sagen. Auf dem Rugbytag im letzten Jahr konnten die genauen Zahlen nicht genannt werden, weil dies womöglich die Verhandlungen mit BMI und DOSB negativ beeinflusst hätte und die Versammlung hat dies akzeptiert und nicht auf weitere Infos bestanden. Ich weiß also nicht genau über den wirklichen Zustand des Deutschen Rugby-Verbandes Bescheid. Aber schenkt man den Gerüchten glauben, ist die Situation nicht sonderlich rosig. In solchen Dingen erwarte ich mir von der neuen Verbandsführung mehr Transparenz. Man kann nicht nur mit Emotionen arbeiten, sondern man muss sich auf Fakten beziehen. Wir dürfen uns daher auch bei der Wahl nicht von Emotionen leiten lassen, es geht nicht darum jemand zu finden, der von einem Klub oder aus einer Stadt ist, die mir gut passt, sondern wir brauchen die besten Personen für den Job.

Lofty Stevenson bietet im Rahmen der Europameisterschaft einen IRB C- und B-Trainerkurs, welcher in drei Module unterteilt sein wird. Es ist zum einen möglich sich das Modul seiner Wahl herauszupicken – wenn man zum Beispiel nur seine Fertigkeiten als 7er-Coach verbessern möchte – es empfiehlt sich aber mit Sicherheit den gesamten Kurs zu belegen. Die Kosten belaufen sich auf 25€ pro Tag oder 60€ für alle drei Tage. Für weitere Infos einfach eine  Diese E-Mail-Adresse ist gegen Spam Bots geschützt, du musst JavaScript aktivieren, damit du sie sehen kannst – es sind auch kurzfristig noch Plätze verfügbar!

Du hast die vielen Grabenkämpfe angesprochen. Klubs gegen Klubs, Klubs gegen Verbände, Landesverbände gegen den Dachverband. Überall wird gekämpft, es gelingt uns nicht alle unter einem gemeinsamen Ziel, dem Ziel erfolgreiche Nationalmannschaften zu produzieren, zu vereinigen.

Ein funktionierendes Flaggschiff macht vieles einfacher. Daher versuchen wir verzweifelt unser Flaggschiff ins laufen zu bringen. Aber so funktionieren die Dinge nicht in einem Rugbyentwicklungsland wie Deutschland. Unser Flaggschiff läuft nicht, es weht keine stolze Flagge auf unserem Schiff, ja vielleicht haben wir nicht einmal ein Schiff! Daher müssen wir es anders anpacken. Wir müssen wiegesagt zu den Klubs gehen. Die Klubs brauchen Hilfe, in erster Linie dabei wir Kosten einzusparen. Aktuell sind die Reisekosten das größte Hemmnis. Wir brauchen außerdem mehr und besser ausgebildete Trainer. Das ist ein Teil der Arbeit die ich tue, nicht nur hier sondern auch zum Beispiel in Belgien und Österreich. Wir brauchen frische Informationen und Leute die in der Lage sind diese zu vermitteln. Ich habe ein System entwickelt, welches ich „Speed Coaching 3rd Millennium“ nennt. Gib mir irgendeine Mannschaft und innerhalb einer Stunde, verbessere ich sie nachhaltig, lautet das Versprechen. Das habe ich zum Beispiel mit Österreichs Nationalmannschaft getan und die Österreicher waren im Nachhinein sehr verwundert, was man innerhalb so kurzer Zeit erreichen konnte. Die Klubs brauchen genau diese Hilfe und hier sollte ein kollektiver Prozess angestoßen werden.

Das wäre ein Punkt an dem es anzusetzen gilt. Danach sind die Verbände dran und erst dann kümmern wir uns um unser Flaggschiff. Wir können uns dabei an anderen Nationen orientieren. Natürlich können wir dabei nicht einfach die neuseeländischen oder walisischen Pläne übernehmen. Deutschland ist nicht Neuseeland und ist nicht Wales, wir müssen uns auf eine deutsche Art und Weise neu erfinden. Aber wir können trotzdem von den Erfahrungen dieser Nationen, welche den Prozess der Neuausrichtung schon hinter sich haben, lernen. Zum Ausgangspunkt können wir jeder Zeit zurück. Wir haben ja nichts zu verlieren. Daher sollten wir es jetzt einfach probieren.

Bei der diesjährigen U16-Meisterschaft in Berlin, die eine tolle Veranstaltung war, waren wir spielerisch auf U13-Level in Neuseeland. U13 in Neuseeland ist kein schlechtes Level, in Wales und Irland wären wir vielleicht bei U14/15, aber uns fehlt die Tiefe, wir haben vielleicht 120 Jungs in dieser Altersklasse, aber was passiert mit Ihnen. Die meisten Teams waren Spielgemeinschaften, das ist der Beweis, dass eine Zusammenarbeit grundsätzlich möglich ist und wenn sie nur besteht, damit die Jungs überhaupt spielen können. Wenn wir sicherstellen können, dass unsere Jugendlichen spielen, wird irgendwann auch unser Flaggschiff Fahrt aufnehmen.

Was machen wir aber mit unseren aktuellen Nationalspielern?

Ich habe bereits im August 2009 ein entsprechendes Konzept zusammengestellt und es besteht immer noch die Chance es anzuwenden. Natürlich muss es an einigen Stellen angepasst werden, weil wir heute auf einem anderen Level sind, nämlich genau auf dem Level welches ich damals mit diesem Konzept verhindern wollte. Entstanden ist es damals als Reaktion auf ein Meeting der Spanier, in welchem diese ihre Pläne für die kommenden Jahre skizzierten. Heute kann genau dieses Konzept vielleicht einen Teil dazu beitragen, dass wir einen Weg aus der sportlichen Misere finden, in welcher wir uns aktuell befinden. Ich bin kein Visionär, sondern ich war einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort und habe mitbekommen was unsere direkten Konkurrenten planen. Ich bin aber nach wie vor fest davon überzeugt, dass Deutschland die besseren Athleten hat als beispielsweise die Spanier, aber wir haben nicht die nötigen Strukturen, um das Beste aus unserem Potential zu machen.

Lest morgen im zweiten Teil des Interviews wie Lofty das Leistungsvermögen unserer aktuellen 7er-Auswahl im Vergleich mit dem von ihm 2008-2009 betreutem 7er-Team einschätzt und wie er unserer Aufstiegschancen bewertet...

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Kommentare (6)add comment

Benedikt Leibold said:

475
IRB C- und B-Trainerkurs
Wann und wo finden denn die Kurse statt? Alles dieses Wochenende in Heidelberg?
Juli 01, 2011

TotalRugby Team said:

366
...
In Heidelberg und der Kurs ist so organisiert, dass die Teilnehmer keines der Deutschland-Spiele verpassen. Bei Interesse setzt Du Dich am besten per Email mit Lofty in Verbindung, die Email-Adresse findest Du im Text!
Juli 01, 2011

Matthias Hase said:

381
...
treffende analyse! in einer randsport müssen alle vorhandenen kräfte gebündelt werden, um gemeinsam nach vorne zukommen, damit alle davon profitieren. immer nur "gut freund" in der "dritten halbzeit" machen, reicht nicht, dann bleiben wir auf dem niveau von "thekenmannschaften". und man kann sich auch in anderen sportarten umgucken, wie die mit den begebenheite in dt umgehen, um sich zu entwickeln und zu positionieren.
Juli 01, 2011

nina corda said:

1091
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"Wir brauchen Unterstützungssystem, von den Vereinen bis hin zum Verband. Die Leute müssen anfangen gemeinsam zu arbeiten. Momentan haben wir sehr viele gute Leute, die größtenteils auch gute Arbeit leisten, aber ihre Konzepte sind häufig kontraproduktiv. Das größte Problem welches mir dabei aufgefallen ist, ist die fehlende Transparenz. Wenn es uns gelingt endlich zusammenzuarbeiten, wird vieles einfacher werden. Wir müssen ein kollektives Denken entwickeln und dann eine Lösung finden, die nicht nur heute für meinen Klub gut ist, sondern auch in der Zukunft noch für meinen Klub, die anderen Klubs und auch für die Nationalmannschaften positiv ist.
[..]
Man muss zu den Leuten gehen – auf ihren Platz, in ihr Klubhaus - um zu lernen wo die Probleme liegen."

fuer mich die zentralen aufgaben.
und vieles (naemlich "mitgliederbefragung", verstaerkte kooperation etc) kann schon jetzt rel kostenneutral gemacht werden. wenn alle das wollen.
wenn man sich jetzt wieder hinsetzt und jammert, das kein geld da ist, wird nichts passieren.
Juli 01, 2011

Manuel Wilhelm said:

63
...
@ Nina - Während meines Praktikums bei der Queensland Rugby Union / Reds war genau das eine meiner Aufgaben. Ich habe dort den Club Health Check, eine Online-Evaluation, entworfen. Mit diesem wurden nicht nur die Mitgliederzahlen der Clubs, sondern insbesondere ihre Bedürfnisse, Infrastruktur, etc erfasst. Danach wurden die Clubs zum einen in verschiedene Level eingeteilt und entsprechend prämiert, aber v.a. wurden ihnen fachkundige Anleitungen an die Hand gegeben, wie sie ihre Baustellen bis zur nächsten Evaluation entsprechend verbessern können.
Juli 01, 2011

nina corda said:

1091
...
eben. es gibt jede menge (freie) survey software, es werden sich doch ein paar praktikanten und freiwillige finden lassen, die da was zusammenbauen und auswerten koennen.
ebenso materialien, die man den vereinen an die hand geben kann.
vll sollte man da ein team zusammenstellen und das auf dem rugbytag einfach vorschlagen, mit vorlaeufigem konzept. sonst verlaeuft das wieder im sande....
Juli 01, 2011

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