TR-Interview mit Wolfpack-Coach António Aguilar: „Struktur und Kontrolliertes Chaos“
Geschrieben von TotalRugby Team   
Sonntag, 23. Oktober 2022

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Der neue Wolfpack-Coach Aguilar (links im Bild) mit Rugby-Deutschland-Sportdirektor Manuel Wilhelm.

Mit António Aguilar hat das Wolfpack seit dieser Woche einen neuen Trainer. Der Portugiese übernimmt das Team gemeinsam mit Clemens von Grumbkow. Im TR-Interview beschreibt sich Aguilar, der selbst für los Obos bei der WM 2007 auflief und Portugals Siebener-Nationalmannschaft betreute, als „unglaublich ambitioniert". Er will den individuellen Spielern mehr Freiheiten geben, die gute Organisation aber beibehalten.

TotalRugby: Hallo Antonio, zunächst einmal Glückwunsch zur neuen Aufgabe. Wie waren die ersten Tage in Heidelberg für dich?

António Aguilar: Danke! Tatsächlich reise ich erst am Freitag (das Interview wurde bereits am Mittwoch aufgezeichnet; Anm. d. Red.) nach Heidelberg. Aber ich habe die Jungs bereits in Elche spielen sehen. Aber natürlich haben auch bereits in den letzten Wochen schon ausführliche Gespräche stattgefunden, über die nächsten Wochen und Monate und unsere gemeinsamen Pläne. Ich bin bereit und kann direkt loslegen.

TR: Was war dein Eindruck vom deutschen Team noch bevor du diesen Job in Betracht gezogen hast?

AA: Ich habe das deutsche Rugby natürlich immer auch ein wenig von Portugal aus verfolgt. Ich habe früher gegen Leute wie Colin Grzanna, Manuel Wilhelm und ich glaube ich auch Clemens von Grumbkow gespielt. Als ich dann Trainer der Siebener-Nationalmannschaft Portugals war, haben wir natürlich häufig gegen die deutsche Mannschaft gespielt. Dabei war das deutsche Team für mich immer physisch sehr stark, sehr gut bei den Standards, sowie taktisch gut geschult und diszipliniert.

Das wiederum ist ein wenig ein Kontrast zu Portugal, wo die Mentalität herrscht zu spielen was man vor sich sieht - da habe ich dann versucht mehr Struktur reinzubringen. Aber grundsätzlich war die Beziehung zu den deutschen Spielern und Verantwortlichen immer gut - wie es sich unter Ruggern gehört. Nach dem Länderspiel beispielsweise gab es auch mal ein zwei Bier zusammen und ich habe das immer genossen.

Jetzt werde ich die Verantwortlichen und Spielern noch besser kennen lernen. Speziell bei den Spielern wird das wichtig sein, denn als Trainer geht es nicht nur darum sicherzustellen, dass auf dem Feld alles läuft. Denn viele Faktoren außerhalb des Platzes beeinflussen die Leistung auf diesem.

„Wir wollen insgesamt eine gute Balance zwischen strukturiertem und unstrukturiertem Spiel finden.“

TR: Was ist deine Spielidee mit dem deutschen Team? Irgendetwas zwischen dem spontanen portugiesischen Spiel und dem strukturiert deutschen Ansatz?

AA: Der deutsche Ansatz strukturierter zu spielen, sagt mir zu. Die deutschen Jungs halten sich an den Plan. Das ist gut und das soll so bleiben. Gleichwohl will ich den Spielern ein wenig mehr Entscheidungsfreiheit geben, die Kontrolle ein bisschen mehr bei den Spielern lassen. Wir wollen insgesamt eine gute Balance zwischen strukturiertem und unstrukturiertem Spiel finden. Denn wenn man zu strukturiert spielt, wird man irgendwann leicht ausrechenbar. Unser Ansatz ist kontrolliertes Spiel, aber dann brauchen wir auch Momente des kontrollierten Chaos und wenn wir wirklich beides beherrschen, werden wir für die Gegner noch schwerer zu spielen.

TR: Du hast ja sicherlich schon viele der Spiele in den letzten Monaten gesehen. Wo glaubst du muss sich diese Mannschaft am meisten verbessern?

AA: Sich zu verbessern ist ein Thema, das alle Mannschaften im Sport betrifft. In unserem Fall wird es wichtig sein, besser mit Druck umzugehen. Technisch und taktisch ist diese Mannschaft auf einem guten Niveau und ist beispielsweise als Favorit in die Challenger Series gegangen. Doch das Team konnte das eigene Potenzial nicht zu 100% abrufen wegen dem Druck. Das war in erster Linie eine Frage der Psyche.

Dazu haben wir auch schon Gespräche mit dem Trainerteam gesprochen. Uns wird es darum gehen, wie diese Mannschaft besser mit dem Druck klarkommt. Nachdem das Team so oft knapp gescheitert ist, beeinflusst das natürlich die Spieler auch mental. Wir müssen an uns glauben, der Druck muss uns besser machen, nicht ängstlich - das wird bereits eine große Chance sein. Das Spiel weiterzuentwickeln wird der nächste Schritt sein.

TR: In der Mannschaft sind aktuell ja einige erfahrene Spieler über 30 und zuletzt wurde immer vom Generationenwechsel gesprochen. Wird das auch eine Aufgabe für dich sein in den kommenden 1,5 Jahren?

AA: Das wird kein abrupter Prozess, sondern Wandel passiert immer und ist ein laufender Vorgang. Aber im nächsten Monat wird es ein Thema sein, wer noch hungrig ist und spielen will. Wer hungrig genug ist, jeden Tag um den Platz im Team zu kämpfen, jeden Tag daran zu arbeiten besser zu werden. Sicherlich brauchen wir jüngere Spieler und ein paar haben mich in Elche schon beeindruckt. Wir werden uns mit allen Spielern unterhalten, den jungen und denjenigen mit Erfahrung und dann ein Team zusammenstellen, dass immer den absoluten Willen zeigt - ob auf dem Trainingsplatz, im Gym, beim Turnier.

Sicherlich ist das für einige die Chance auf einen Neustart. Gleichzeitig bleibt der Rest des Teams ja gleich. Ich werde nicht dazustoßen, um mit einmal alles zu ändern. Optimal wäre ein guter Mix aus Erfahrung und Jugend. Aber für mich ist dieser Hunger auf mehr das wichtigste - dann ist es mir auch egal, ob ein Spieler 18 oder 35 ist, solange dieser Hunger besteht.

António Aguilar bei einem seiner 86 Einsätze für Portugal

TR: Die Ziele - World Series und Olympia - sind ja wohlbekannt. Für wie realistisch hältst du diese?

AA: Ich bin ein ambitionierter Mensch, in jeglicher Hinsicht, natürlich und besonders als Trainer. Deutschland war schon mehrmals nah an der World Series dran und natürlich ist das machbar. Wir wollen und müssen die Quali schaffen - das wäre ein echter Schub für das Team und das deutsche Rugby.

Mit Blick auf Olympia: Dieses ganze Projekt zielt darauf ab, irgendwann bei Olympia dabei zu sein. Das Projekt ist ein olympisches und darum geht es schlussendlich, bei den Spielen dabei zu sein. Es wird hart, keine Frage, aber wir müssen uns auch ambitionierte Ziele stecken.

Mit Frankreich ist ein europäisches Team als Gastgeber 2024 bereits qualifiziert, womit für Europa ein Platz mehr rausspringt. Dann gibt es zwei direkte Quali-Plätze aus Europa und zwei weitere für das Repechage-Turnier, wo das letzte Olympia-Ticket vergeben wird. Sollte das Team GB oder Irland unter den Top vier in der kommenden World-Series-Saison sein, würden sich diese direkt qualifizieren und wären aus der Europa-Konkurrenz raus.

TR: Also im besten Fall qualifizieren sich Irland und Großbritannien direkt über die World Series…

AA: Das wäre für uns perfekt, aber leider ist das nicht ganz realistisch. Die kommende Saison auf der World Series wird unglaublich eng, da es um die Olympia-Tickets geht. Fidschi, Neuseeland, Australien, Argentinien, Südafrika usw. wollen alle nach Paris 2024.

Aguilar in seiner Rolle als Portugal-Coach bei den Sydney 7s

TR: Dann wären die direkten Konkurrenten Spanien und Großbritannien.

AA: Genau, Spanien, obwohl sie auf der World Series sind, ist für uns alles andere, als ein unschlagbarer Gegner. In den letzten Duellen mit Spanien waren wir wettbewerbsfähig. Irland ist sehr stark, aber auch die haben wir schon einmal geschlagen. Ähnliches gilt für Großbritannien. Der Quali-Wettbewerb ist offen nach meiner Einschätzung.

„Mein Job ist das Wolfpack und da wird mein Fokus liegen, aber wenn Rugby in Deutschland insgesamt wächst, gewinnen wir alle.“

TR: Ein weiteres Thema, was dich sicherlich beschäftigen wird und was in Deutschland kontrovers diskutiert wird ist, inwiefern die Wolfpack-Spieler für ihre Vereine und eventuell auch für die Adler zum Einsatz kommen. Das wird sicherlich auch in Portugal ein Thema gewesen sein…

AA: Das war es in Portugal auch. Wir haben das Thema im Wolfpack-Trainerteam schon angerissen, aber noch nicht im Detail diskutiert. Wir müssen da von Fall zu Fall schauen. Einige Spieler profitieren davon, im Fünfzehner zum Einsatz zu kommen, selbst wenn es nur um Spielzeit und Erfahrung geht. Mir ist es wichtig, dass meine Spieler auch spielen und nicht nur trainieren. Wenn die Jungs gerade im Siebener nicht gefordert sind, werden wir sie natürlich freigeben.

Deutschland muss als Rugby-Nation insgesamt wachsen. Wenn die Siebener-Spieler nun mal besser vorbereitet sind, der Fünfzehner-Nationalteam weiterhelfen können und das terminlich mit unseren Zielen vereinbar ist, können sie natürlich für die Nationalmannschaft oder ihre Vereine spielen. Wir alle wünschen uns, dass Rugby in Deutschland wächst und stärker wird, da gehören wir, aber auch die Adler und die Vereine dazu. Mein Job ist das Wolfpack und da wird mein Fokus liegen, aber wenn Rugby in Deutschland insgesamt wächst, gewinnen wir alle.

TR: Das klingt gut. Wie sehen die nächsten Wochen aus?

AA: Ich bin, wie bereits erwähnt, von nun an in Heidelberg und werde mich zusammen mit Clemens von Grumbkow und dem restlichen Trainerteam an die Planungen machen. Bis zum Jahresende spielen wir noch ein Einladungsturnier in Simbabwe und die Dubai 7s. Da werde ich dann auch die Chance haben, in dieser intensiven Phase alle noch ein wenig besser kennen zu lernen.

TR: Viel Erfolg dabei und wir hoffen, dass du das Super Bock (portugiesisches Bier und Sponsor des portugiesischen Rugbys; Anm. d. Red.) nicht allzu sehr vermisst. Danke für das Gespräch!

AA: Das werde ich auf keinen Fall, ihr habt sehr gutes Bier in Deutschland, da mache ich mir keine Sorgen.

 

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