TR-Review Six Nations: Frankreich triumphiert in Pariser Rugby-Krimi, Irland schlägt England
Geschrieben von TotalRugby Team   
Sonntag, 21. März 2021

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Der Moment, in dem Frankreichs Brice Dulin das Spiel auf den Kopf stellte.

Ein Rugby-Samstag, über den man noch in Jahren sprechen wird. Zwei sehr gute Spiele als Ouvertüre zum Entscheidungsmatch. Auch wenn der Titel nun erst kommende Woche ausgefochten wird, bot Frankreich-Wales doch alles was ein Rugby-Match ausmacht: Spielfreude, Härte und mehr Spannung, als es für den Blutdruck gesund wäre.

Welche Emotionen ein Rugby-Spiel bei so vielen Menschen hervorrufen kann. Millionen Menschen  vor französischen TV-Geräten waren am späten gestrigen Abend gegen 23 Uhr erst bitterböse enttäuscht und nur 15 Minuten später im siebten Himmel. Was war passiert? Das blutjunge Frankreich-Team, angeführt von Kapitän Charles Ollivon, hatte in einem Krimi von einem Rugby-Spiel zwischen der 77. und 82. Minute mit zwei Versuchen ein längst verloren geglaubtes Spiel gewonnen.

Der Sieg von les Bleus hätte kaum dramatische zu stande kommen können, das Spiel hätte insgesamt kaum spektakulärer sein können. Der einzige Wermutstropfen: Wären wie üblich über 80.000 Zuschauer in Frankreich größtem Stadion gewesen, hätte gestern ein kleines Erdbeben den Pariser Norden erschüttern lassen.

Die Ausgangslage war klar: Wales würde jeder Sieg oder ein Unentschieden zum Turniersieg reichen, auch ein knapper französischer Sieg ohne Bonuspunkt, hätte für die Gäste zum Six-Nations-Sieg gereicht. Tatsächlich sah es über weite Teile des Spiels so aus, als würde Wales sich den 14. Grand Slam seiner Geschichte sicher.

Alle Highlights der Partie

Denn bis in die absolute Schlussphase hatte Wales immer eine passende Antwort auf Frankreichs überragende Spielfreude. Doch der reihe nach: Die letzte reguläre Partie der diesjährigen Six Nations begann mit einem Rugby-Feuerwerk mit vier Versuchen in 18 Minuten. Dabei waren diese Versuche nicht durch Defensiv-Schwächen, sondern durch Offensiv-Power auf beiden Seiten entstanden.

Frankreichs Zweite-Reihe-Gigant Romain Taofifénua sorgte für die ersten Punkte. Frankreich hatte sich nach einem Paket per Strafgasse bis an die Linie vorgearbeitet, wo der 135-kg-Mann clever unter einem Verteidiger ablegte. Aber Wales war nicht als Sparringspartner gekommen und arbeitete sich mit viel Dampf in die Frankreich-22 vor. Nachdem Neuner Gareth Davies zunächst durch ein überragendes Ollivon-Tackle im Malfeld hochgehalten wurde, knallte ausgerechnet Zehner Dan Biggar wenige Minuten später zum Ausgleich über die Linie.

Wieder nur zwei Zeigerumdrehungen kreierte Schluss Brice Dulin, einer der erfahreneren Akteure im Frankreich-Kader, per Überkick den zweiten Versuch. Er platzierte den Kick perfekt über die heranrauschende Wales-Linie, Zehner Jalibert nahm das Leder auf und passte im perfekten Moment auf den Unterstützung laufenden Neuner Dupont. So trickreich dieser Versuch, so kraftvoll der walisische Ausgleich: Wieder lief es über den Sturm bis tief in die Frankreich-22, wo Flanker Josh Navidi per Pick and Go die letzten Zentimeter ins Malfeld schaffte.

Die zwanzig Minuten bis zur Pause hatten dann nicht mehr das irre Tempo der Anfangsphase - beide Teams packten noch drei Pünktchen auf ihr Konto - ein leistungsgerechtes Unentschieden zur Pause. Wales hatte dann den deutlich besseren Start in Durchgang zwei: erst erhöhte Biggar per Penalty, dann erzielte Wales auf kuriose Art und Weise den dritten Versuch. Ein durchgesteckter Kick von Josh Adams wurde zur Flipperkugel, die Tomos Williams zuerst aufsammelte und Adams bediente, der damit ins Malfeld rollte.

Jedoch schien Frankreich-Flanker Jelonch relativ eindeutig noch eine Hand unter dem Leder zu haben. Video-Referee Wayne Barnes schien dies auch so zu sehen, sah aber nicht genug, um die Entscheidung von Haupt-Schiedsrichter Pierce zu überstimmen - Versuch Wales und 27:17 für die Gäste. Dann hatten die Waliser zum ersten Mal das Gefühl für die Entscheidung gesorgt zu haben: Ein Paket der Gäste brachte diese mit Vollgas Richtung Linie.

Frankreichs Prop Haouas brachte dieses gelbwürdig zu Boden. Der Ball ging aber schnell nach Außen an Youngster Louis Rees-Zammit der ein spektakuläres Finish fabrizierte. Doch der junge Winger, der beim Ablegen des Leders mit dem Körper in der Luft schwebend im Aus war, legte das Spielgerät im Malfeld, aber auf der Auslinie ab. So blieb es bei der Gelben für den Frankreich-Prop und drei weiteren Zählern per Penalty.

Frankreich stand nun mit dem Rücken zur Wand. Zehn Zähler Rückstand, in Unterzahl und mit 15 Minuten auf der Uhr. Frankreich warf nun in Unterzahl alles nach vorne und schien mit dem Versuch von Brice Dulin in der 67. Minute nach einer sprichwörtlichen Belagerung der Linie den Anschluss geschafft zu haben. Doch gerade als Schiri Pierce den Versuch geben wollte, schaltete sich Video-Ref Wayne Barnes ein.

Der erfahrene Engländer hatte eine Szene rund eine Minute zuvor im Blick, in der Zweite-Reihe-Stürmer Willemse bei einem Cleanout den Kopf von Wales-Prop Wyn Jones erwischte. Es war eine unglückliche Szene aus Sicht der Franzosen, Willemse hatte wohl keine schlechten Absichten, erwischte Jones aber im Gesicht mit der Hand in der Nähe des Auges. Referee Pierce wollte zunächst nur Gelb zücken, Barnes überzeugte ihn aber vom Platzverweis.

Frankreichs Six-Nations-Traum schien vor den leeren Rängen des Stade de France einen tragischen Tod zu sterben. Doch in den darauffolgenden 15 Minuten bewies die junge Frankreich-Mannschaft nicht nur spielerische Klasse zu haben, sondern auch Kampfgeist en masse. Erst schaffte es Kapitän Charles Ollivon nach tollem Lauf bis ins Malfeld, nur um dort hochgehalten zu werden. Jedoch hatte Wales-Achter Faletau zuvor Dupont aus Abseits-Position zynischerweise gestört und musste mit Gelb vorzeitig runter.

Dann hatte es, wie die TV-Bilder später zeigten, Hakler Marchand mit dem Leder auf die Mallinie geschafft. Schiri Pierce aber sagte „short“ und ließ weiterspielen, Wales konnte sich befreien, nur um dann wegen eines weiteren zynischen Foulspiels wieder Gelb zu sehen. Während Pierce Liam Williams vom Feld schickte, plädierte Frankreichs Innen Fickou: „Monsieur, I promise you, it is a try.“

Pierce blieb aber hart und Frankreich sollte es auch so noch schaffen, die Partie zu drehen. Nach einem Fünf-Meter-Gedränge nach einem erneuten Wales-Staftritt machte sich Achter Aldritt auf und schaffte es bis an die Linie. Dieses Mal ließ es sich Kapitän Ollivon nicht nehmen und machte in der 77. den Anschluss. Der eingewechselte Ntamack verwandelte mustergültig. Nun blieben Frankreich nach dem Ankick noch reguläre zwei Minuten um es aus dem eigenen Malfeld bis in die Endzone der Waliser zu schaffen.

Der letzte Versuch und seine Entstehung mit Original-Kommentar auf französisch

Wieder wurde es dramatisch - Wales verteidigte schon lange weit über dem Limit und hätte sich über eine dritte oder vierte Gelbe nicht beschweren können. Erst in der 82. Minute, nach unzähligen riskanten Offloads, von denen keines hätte daneben gehen dürfen, spielte Frankreich in der 22 eine Überzahl aus. Schluss Brice Dulin, der elder statesman dieses Teams, lief mit dem Ball unter dem Jubel seiner Mitspieler ein.

Frankreich hatte das unwahrscheinlichste aller Comebacks geschafft und ein Match für die Geschichtsbücher abgeliefert. Der Titel war dies allerdings noch nicht - Frankreich muss nun gegen Schottland mit 21 Punkten inklusive Offensiv-Bonus gewinnen, um die schlechtere Punktedifferenz auszugleichen. Sonst gewinnt Wales dennoch die Six Nations 2021. Auch ein Sieg mit 20 Zählern würde reichen, wenn Frankreich sechs Versuche legt - dann nämlich hätte meine eine exakt gleiche Punktebilanz, wie die Waliser, aber einen Versuch mehr gelegt.

Schottland wird nach dem Corona-Chaos bei den Franzosen mit viel Wut im Bauch nach Paris reisen. Es dürfte alles andere als ein Spaziergang für les Bleus werden. Die Titelentscheidung gibt es nächsten Freitag um 21 Uhr live auf DAZN.

 

Die Tabelle nach Spieltag 5

Rang Team Spiele Siege Punkte Differenz
1. Wales 5
4 20 61
2. Irland 5 2 15
48
3. Frankreich
4 2 15 41
4. Schottland 4 2 11 43
5. England 5
2 10 -9
6. Italien 5 0 0 -184

Frankreich holt die Six Nations, wenn sie am Freitag gegen Schottland:

  • Mit 20 Punkten und sechs Versuchen gewinnen
  • Oder mit mehr als 20 Punkten und dem Offensiv-Bonus


Irland 32 - 18 England

Rein auf dem Papier ging es in dieser Partie um nicht mehr viel. Aber die Rivalität dieser beiden Teams hat eine lange Tradition, Eddie Jones Abneigung gegenüber dem irischen Team ist wohl dokumentiert und Irland will man gerade um den Saint Patrick’s Day nicht gegen den Lieblingsgegner verlieren. So ergab sich eine Konstellation, bei der England als leichter Favorit nach Dublin reiste, immerhin hatte man doch die hochgehandelten Franzosen in der Vorwoche geschlagen.

Jedoch konnte England nicht an diese Leistung anknüpfen, im Gegenteil. England konnte Anfangs aus seinem Ballbesitz keinerlei Kapital schlagen. Nach Straftritten auf beiden Seiten gelang den Iren der erste Wirkungstreffer: Eine einstudierte Variante brachte einen tollen Versuch hervor. Eine überworfene Gasse wurde von Irland-Achter Jack Conan in Volleyball-Manier nach hinten auf den anstürmenden Keith Earls. Der mittlerweile 33-jährige Außen erwischte den Ball perfekt und umkurvte Jonny May, als sei der eine Slalomstange.

Kurz vor der Pause wurde Irlands Achter Conan dann vom Vorbereiter zum Vollstrecker: Nach einem Überkick von Sexton, den Irlands Ex-Siebener-Star Hugo Keenan auf spektakuläre Art und Weise in Englands 22 erlief, machten die Boys in Green Phase um Phase Druck, bis Conan per Pick and Go den Versuch besorgte. Bis zur Pause schaffte es England nicht mehr zu Punkten und lief zu Beginn des zweiten Durchgangs einem 14-Punkte-Rückstand hinterher.

Irlands Sieg im Video

Die mangelnde eigene Disziplin und spielerische Fehler kosteten den Vizeweltmeister weiter - Sexton zwei Mal vom Tee erhöhte auf 26:6 und England drohte eine Abreibung. England bekam aber noch Mal eine Chance, als Billy Vunipola in der 63. Minute mit Speed auf die Irland-Linie zulief. Irlands Akee setzte zum Tackle auf den Brustkorb an, Vunipola hatte sich stark nach vorne gelehnt und so erwischte der Irland-Innen ihn am Kopf.

Die harte aber logische Konsequenz: Rot für den irischen Centre und 17 Minuten Überzahl für England und tatsächlich kam England nach einem Maul und einer schnellen Kombination auf der kurzen Seite zum Anschlussversuch durch den sonst nicht sonderlich starken Ben Youngs. Doch England-Fans, die nun auf eine Aufholjagd hofften, wurden enttäuscht. Irland spielte in Unterzahl souverän weiter und konnte durch zwei Sexton-Penalties sogar noch auf 32:11 erhöhen.

England konnte auch deshalb nicht mehr wirklich Druck aufbauen, weil mit George Ford der erste Verbinder ausgewechselt wurde und Owen Farrell nach einem Tackle, bei dem er aufrecht mit dem Kopf zuerst in den Gegner ging und sich selbst ausknockte, kein Spielmacher mehr da war. Ersatz-Neuner Robson musste auf die Zehn. Dieser schaffte es aber in der 79. Minute doch noch für Englands zweiten Versuch zu sorgen: Mit einem weiten Überpass bediente er May zum Versuch, doch dies war nur noch Ergebnis-Kosmetik.

Irland war an diesem Tag cleverer, spielerisch besser und vor allem disziplinierter. England wird diese Six Nations, in die das Team als Titelverteidiger ging, als Fünfter beenden - trotz Sieg über den eventuellen Sieger Frankreich. Eddie Jones hat viele Baustellen und wird sich in den nächsten Wochen der kritischen englischen Rugby-Öffentlichkeit stellen müssen. Zwei Jahre vor der nächsten WM steht es um Englands Ambitionen nicht sonderlich gut. Irland dagegen kommt so langsam aus dem Formtief heraus und hat eine formidable Truppe - mit Jack Conan zeigte sich gestern auch bereits der Nachfolger von CJ Stander als Irlands künftiger Achter.

Schottland 52-10 Italien

239 ist die Zahl die Italiens Misere am besten ausdrückt. Das ist die Zahl der Punkte, die die Azzurri nach fünf Spielen beim diesjährigen Sechs-Nationen-Turnier kassiert haben. Demgegenüber stehen nur 55 erzielte Punkte - beides besorgniserregende Zahlen und auch der Trend der letzten Jahre zeigt nach unten. Samstag Nachmittag ließen sich die Azzurri noch Mal acht Versuche von den Schotten einschenken.

Dabei hatte es so vielversprechend begonnen, als Luca Bigi nach nur sechs gespielten Minuten den ersten Versuch des Spiels gelegt hatte, als er aus einem Paket aufbrechend an der Eckfahne Italiens erst sechsten Versuch im Turnierverlauf erzielte. Es sollte auch der letzte sein, denn in der Folge machte sich Italiens größtes Problem aktuell bemerkbar. Schon in Durchgang eins verpasste Italien sage und schreibe 38 Tackles.

Es sollte so nicht Mal 30 Minuten dauern, bis Schottland sich zum Bonuspunkt kombiniert hatte. Allen voran Huw Jones und Duhan van der Merwe kombinierten sich nach Belieben durch Italiens Defensive. Auch nach der Pause dasselbe Bild: Italien konnte nie längere Ballbesitzphasen kreieren, weil durch Fehler und Ballverluste Schottland immer wieder an die Pille kam.


Symptomatisch war wohl der letzte Versuche. Italien versucht es einige Phasen in der Schottland-22, bis Zweite-Reihe-Stürmer Canone der Ball aus den Armen gerissen wird. Schottland schaltet blitzschnell um und fährt einen rasend schnellen Konter über Ersatz-Neuner Ali Price und eben jenen Duhan van der Merwe, der nicht nur brutal stark im Kontakt ist, sondern auch blitzschnell rennen kann.

Der Endstand spiegelt durchaus das Kräfteverhältnis wieder und dürfte die Diskussion um Italiens Rolle im Turnier weiter befeuern. In den letzten drei Jahren hat Italien nicht nur kein Spiel gewonnen, sondern hat sein Punkteverhältnis von damals -88 auf -186 mehr als verdoppelt. Für Schottland war diese Partie nicht mehr als ein lockeres Trainingsspiel.


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