TR-Review Six Nations: Wales mit Kantersieg über England, Irlands Offensive überwindet Ladehemmung
Geschrieben von TotalRugby Team   
Sonntag, 28. Februar 2021

Wales-Mannschaft feiert den Grand Slam 2019 im Regen von Cardiff.
Plötzlich wieder auf Kurs Grand Slam - wie 2019 will sich Wales fünf Siege in fünf Spielen bei den Six Nations holen.

Jubelnde Waliser, bedrückte Engländer und entfesselte Iren. Das könnte man als vorläufiges Fazit des gestrigen Six-Nations-Samstags nehmen. War Wales noch im Herbst der Prügelknabe im europäischen Rugby, stehen die roten Drachen nun plötzlich oben auf und sind auf Kurs Grand Slam. Den Fans in und um Cardiff ist aber in erster Linie der Sieg über den Erzrivalen wichtig, gegen den dieses Team noch nie so viele Punkte erzielen konnte.

Wales 40 - 24 England

Wer wissen will, wie viel den Walisern dieser Sieg am gestrigen Samstag-Abend gegen den englischen Erzrivalen bedeutet, musste nur einen Blick auf Jamie Muprhys Social-Media-Seite werfen. Der walisisch-deutsche Ex-Adler zückte gestern in den heimischen vier Wänden die Gitarre und sang „Hymms an Arias“, ein Klassiker des walisischen Sängers Max Boyd. Unter normalen Umständen hätten über 70.000 Wales-Fans diesen Klassiker in ohrenbetäubender Lautstärke unter dem Dach des Millennium Stadiums geschmettert - wie auch 2019, als Wales an gleicher Stelle England letztmals überrumpelte.

Dieses Mal wurde es am Ende deutlich - mehr Punkte konnte Wales noch nie gegen die Engländer erzielen. Dabei hatte niemand vor dem Turnierstart mit Wales gerechnet - nun sind die roten Drachen nach drei Siegen in drei Partien auf Kurs Grand Slam, womit selbst die optimistischsten Wales-Fans nicht gerechnet hätte. England ist nun nach einem erfolgreichen Herbst endgültig auf dem Boden der Tatsachen angekommen: Keine Disziplin, kein funktionierendes Spielkonzept und kein Plan B.

Eine Klasse besser: Wales zeigte gegen den Erzrivalen das beste Spiel seit der WM

Wales feierte und England haderte mit dem Unparteiischen. Dabei hatten sich die Engländer ihre Misere weitestgehend selbst zuzuschreiben: Der erste Versuch resultierte aus englischer Unachtsamkeit. Bei England war man davon ausgegangen, dass Dan Biggar einen Straftritt direkt vor den Stangen für drei Punkte kicken würde. Doch während die Engländer sich mit dem Rücken zum Geschehen unterhielten, gab Referee Pascal Gaüzère das Spiel frei - Biggar reagierte fix und spielte einen perfekten Cross-Kick auf Josh Adams zum ersten Versuch.

In Minute dreißig dann ein kontroverser Versuch: Wales hatte schnell die Seite gewechselt und der überragende Adams den Ball per Bodenroller durchgesteckt. Rees-Zammit versuchte den Ball Meter vor der Linie aufzusammeln, schien aber einen Vorball zu produzieren. Liam Williams legte das Leder dennoch zum Versuch ab, um sicherzugehen. Tatsächlich ließ Schiri Gaüzère den Vorgang überprüfen und stellte fest, dass sich Rees-Zammit das Leder selbst gegen die eigene Hüfte geklatscht hatte, wonach der Ball nach hinten ging. In etwas, als hätte er den Ball nach einem Vorball in der Luft wieder unter Kontrolle gebracht - der Versuch zählte.

Die Video-Highlights des überraschend hohen Kantersiegs der roten Drachen

Noch vor der Pause aber der englische Anschluss - nach mehreren Sturmphasen wanderte das Leder fix auf Außen Anthony Watson. Der zuletzt beste Engländer konnte mit einem überragenden Finish gegen gleich drei Tackler den Anschluss herstellen. Nach einem Farrell-Penalty, der insgesamt eine durchwachsene Leistung vom Tee zeigte, ging es beim Stand von 17-14 für die Gastgeber in die Pause. Aus englischer Sicht fast noch schmeichelhaft angesichts unzähliger Straftritte und Fehler.

Die zweite Hälfte begann wie die erste, mit englischer Disziplinlosigkeit und Unaufmerksamkeit. Johny Hill wollte seinem Zweite-Reihe-Kollegen Itoje in nichts nachstehen und verursachte mit einem Sprung quer über das Ruck einen unglaublich unnötigen Straftritt. Wales-Neuner Kieran Hardy reagierte blitzschnell, kratzte das Leder und sprintete die letzten 15 Meter ins Malfeld, ohne auch nur berührt zu werden.

Doch England bäumte sich in seiner besten Phase noch Mal auf. Mit harten Sturmläufen über die Vorteilslinie verschaffte sich der Vizeweltmeister Momentum. Erst per Straftritt und dann per Ben-Youngs-Versuch kam England wieder ran. Der England-Neuner hatte nach einem starken Lauf von May und einer weiteren Phase von Itoje den Ball aus dem Offenen genommen und einen Pass angetäuscht. Wales-Prop Wyn Jones ließ sich davon überzeugen, so dass für Youngs der Weg zur Linie frei war - 24-24 mit 18 Minuten auf der Uhr.

Doch wer nun damit gerechnet hätte, dass Wales einbricht, sah sich getäuscht. Im Gegenteil: Wales absorbierte den englischen Druck und profitierte weiter von englischen Fehlern. Darunter Maro Itojes fünfter Straftritt im Spiel, der seine einsame Führungsposition im Turnier in dieser unrühmlichen Statistik weiter ausbauen konnte. Der eingewechselte Callum Sheedy traf gleich drei Mal für drei Punkte in gut zehn Minuten und brachte Wales auf 33 Zähler außerhalb der England-Reichweite.

Der Schlusspunkt wurde dann ebenso durch Sheedy eingeleitet, der theoretisch auch hätte für England auflaufen können. Er fing einen Ball in der eigenen 22 ab, kickte ihn tief in die englische Hälfte, wo der pfeilschnelle Rees-Zammit zuerst ankam. Doch er konnte nicht zum Versuch ablegen, weil ihm der Ball versprang. Doch Englands Farrell fabrizierte kurz vor der Linie beim Versuch Rees-Zammit vom punkten abzuhalten einen Vorball. Nach dem fälligen Gedränge powerte sich Wales noch einmal mit dem eingewechselten Cory Hill über die Linie.

Es war gleichbedeutend mit dem Offensiv-Bonus und dem Schlusspunkt - die BBC spielte im Hintergrund „Hymns and Arias“ aus der Ton-Konserve ein, während Trainer Wayne Pivac, dessen Job noch vor Wochen in Gefahr schien, die Faust zum Sieg reckte. England-Trainer Jones gab sich im Nachgang ungewöhnlich demütig und sprach von einer enttäuschenden Leistung seiner Mannschaft - aber ebenso von einem verdienten Wales-Sieg, der durch den letzten Versuch allerdings zu hoch ausgefallen sei.

England muss den Turniersieg eigentlich schon abschreiben, kann aber in zwei Wochen daheim gegen Frankreich noch für Wiedergutmachung sorgen. Wales will derweil in Rom einen weiteren riesigen Schritt Richtung Turniersieg machen. Mit einem Bonuspunktsieg gegen die Azzurri, müsste Frankreich gegen England, Schottland und die Waliser elf Zähler holen, um sich den Gesamtsieg zu sichern.

Italien 10 - 48 Irland

War vor dem Spiel war bei vielen Experten die Rede von Irlands mangelnder Durchschlagskraft in der Offensive. In 160 Minuten Rugby hatten die Iren zuvor nur zwei Versuche erzielt, einer davon war reines Glück, als Hakler Kelleher eine verlorene eigene Gasse durch Zufall in die Hände sprang. Nach dem Kantersieg gegen Italien haben die Kritiker der Offensiv-Leistung des Teams von Andy Farrell aber wenig zu meckern.

Sechs irische Versuche, sowie ein dem Anschein nach zu Unrecht aberkannter in Durchgang eins, besserten das Punktekonto der Iren ordentlich auf. Die Azzurri konnten nicht an die ansprechende Leistung gegen England anknüpfen und offenbarten eklatante Defensiv-Schwächen. Nach elf Minuten klingelte es das erste Mal, als Irland nach einem Straftritt tief in der 22 war. Mehrere Sturmphasen brachten nicht den ersten Versuch, aber der flinke Ringrose schaffte es mit Step und Geschwindigkeit.

Irland sollte ein wenig brauchen, bis es zum zweiten Versuch reichte, doch der hatte es in sich: Jordan Larmour bediente per Sahne-Offload Hugo Keenan kurz vor der 22. Der ehemalige Irland-Siebener-Star hatte aus der Distanz genug Speed, um es bis über die Linie zu schaffen. Nur vier Zeigerumdrehungen konnte Larmour wieder tief in die Trickkiste, als er per Offload den anderen Ex-Siebener-Star der Iren per Offload bediente - dieses Mal war es Flanker Connors, der Irlands Führung weiter ausbaute.

Überzeugender Sieg der Iren gegen überforderte Italiener

Der einzige Lichtblick aus italienischer Sicht: Noch mit dem Pausenpfiff erfolgte zumindest der 10-27 Anschluss durch einen toll herausgespielten Versuch. Verbinder Garbisi hatte die Linie attackiert und mit einem großartigen Offload Flanker Meyer zum Versuch freigespielt. Das war es aber schon aus italienischer Sicht in Sachen Angriff - Neuner Varney, der zuletzt so gut mit Garbisi harmoniert hatte, fehlte den Italienern merklich. Der erst 19-jährige Gloucester-Profi hatte sich im Warmup verletzt.

Zwei Minuten nach Beginn des zweiten Durchgangs waren alle Zweifel darüber beseitigt, wer diese Partie als Sieger beenden würde. CJ Stander legte den ersten von zwei Versuchen aus kurzer Distanz, Connors den zweiten in ähnlicher Manier, womit ihm der erste Doppelpack für Irlands Fünfzehner-Team gelang. Mit dem Schlusspfiff konnte der eingewechselte Earls noch Mal fast ungedeckt punkten, als der Ball schnell durch die Hände zum Außen wanderte.

Für Irland ein befreiender Sieg, der aber vor allem auf der hervorragenden Sturmstärke fußte. Ob Irland in zwei Wochen in Edinburgh oder zum Abschluss daheim gegen England derart dominieren kann, bleibt fraglich. Für das irische Team war das Turnier nach den ersten beiden knappen Jahren sowieso zur Chance auf einen Übergang geworden. Italien wird derweil wohl auch im Jahr 2021 ohne Sieg bleiben.

Die Tabelle nach Spieltag drei

Rang Team Spiele Siege Punkte Differenz
1. Wales 3 3 14 22
2. Frankreich 2 2 9 42
3. Irland
3 1 7 31
4. England 2 1 6 2
5. Schottland 2 0 5 4
6. Italien 2 0 0 -101

Frankreich - Schottland (VERSCHOBEN!)
Sonntag 28. Februar 16:00 Uhr, Stade de France Paris (live bei DAZN)

Das für heute angesetzte Gastspiel der Schotten in Paris wurde bekanntlich verschoben. Das Franrkeich-Team ist aktuell wieder in Isolation im Leistungszentrum des Verbandes in Marcoussis, nachdem ein weiterer COVID-Test am Donnerstag zur Absage geführt hatte. In Schottland wird eine 28-0 Wertung gefordert, da sich Frankreich offensichtlich nicht an die Corona-Regeln gehalten hatte. Vorerst wird nach einem Ausweichtermin gesucht, was sich schwierig gestaltet. Spielerabstellungen außerhalb angedachter Länderspielwochenende führen zu großen Konflikten, davon können Frankreich und Schottland ein Lied singen. Aktuell stehen zwei Möglichkeiten im Raum: Eine Verschiebung in die zweite Märzhälfte, was aber den Super Saturday entwertet, der eigentlich die Turnier-Entscheidung besorgen soll. Alternativ könnte erstmals ein Six-Nations-Spiel unter der Woche ausgetragen werden - der 9. März könnte dazu genutzt werden. Doch auch dies brächte Nachteile mit sich, da bereits vier Tage später die vierte Runde der Six Nations ansteht.

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Letzte Aktualisierung ( Sonntag, 28. Februar 2021 )