TR-Review Six Nations: Zwei Krimis und ein Kantersieg
Geschrieben von TotalRugby Team   
Sonntag, 14. Februar 2021

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Air Jonny May - der England-Außen zählte zu den Sieggaranten für den Vizeweltmeister.

Darum lieben wir dieses Turnier - Dieses Six-Nations-Wochenende hatte trotz winterlicher Kälte wirklich alles: Insgesamt 17 Versuche über die drei Spiele hinweg, eine faustdicke Überraschung im zweiten Samstags-Spiel, viel Drama und zwei veritable Rugby-Krimis, die erst tief in der Nachspielzeit entschieden wurden. Am Ende sind Wales und Frankreich die großen Gewinner des Wochenendes. Im Turnier läuft nun alles auf einen Dreikampf um den Titel hinaus.

Der Stand nach dem zweiten Spieltag

Rang Team Spiele Siege Punkte Differenz
1. Frankreich 2 2 9 42
2. Wales 2 2 9 6
3. England
2 1 6 18
4. Schottland 2 1 5 4
5. Irland 2 0 2 -7
6. Italien 2 0 0 -63

England 41 - 18 Italien

Am Ende hatten sich die Azzurri in der Höhle des Löwen teuer verkauft, der Sieg der Engländer schien aber trotz früher Führung des italienischen Teams nie wirklich in Zweifel - vor allem Dank seiner zwei überragenden Außen May und Watson. Damit konnten am Ende beide Teams leben, dennoch war dies kein Freundschaftsspiel - das unterstrichen allein die ständigen Nickligkeiten zwischen beiden Teams.  

Italien hatte äußerst mutig begonnen und wurde für seinen Blitzstart mit einem frühen Versuch durch den gebürtigen Australier Monty Ioane belohnt. Ein Straftritt gegen Courtney Lawes führte zu einer Azzurri-Gasse an der englischen 22 - von dort übten die Azzurri mit mehren knüppelharten Ballvorträgen viel Druck auf die englische Linie aus, die den Azzurri-Ansturm nur aus dem Abseits verteidigen konnte.

Mit dem Vorteil im Rücken und nach einem halbherzigen Tackle von Billy Vunipola konnte Italiens Achter Lamaro den Ball per Offload brandgefährlich machen - drei schnelle Pässe durch Varney, Garbisi sowie Trulla und Außen Ioane war an der Seitenauslinie durch und legte den ersten Versuch für den Außenseiter.

England kam durch einen Farrell-Straftritt zu den ersten drei Punkten, nachdem Negri den getackelten Spieler nicht klar genug losgelassen hatte. Der erste dicke Fehler dann, als der junge Italien-Verbinder Garbisi den Wiederankick direkt ins Aus setzte. England daraufhin erstmals tief in der Italien-Hälfte und schließlich mit dem Versuch - Slade setzte einen cleveren Kick hinter die Linie für May, der es tief in die rote Zone schaffte. Die letzten Zentimeter überwand Kyle Sinckler mit aller Wucht.

Italiens Offensive konnte die englische Defensive durchaus vor Probleme stellen

Das 8:5 für England war aber noch nicht die endgültige Wende. Italien war weiterhin gut im Spiel und kam wenig später durch einen Garbäsi-Kick zum Ausgleich. Dann der erste Schlag von Außen Anthony Watson, der nach einem Kick-Konter mit viel Platz und noch mehr Speed rechts durchbrach und England erstmals auf der Anzeigetafel klar in Front brachte.

Mit der letzten Aktion vor der Pause wurde ein Doppelschlag daraus: Wieder arbeitete sich England in die Italien-Hälfte vor und mit einem Abseits-Vorteil machte Ford das Spiel schnell, bediente Daly, dessen Pass auf Jonny May ihn gute 15 Meter vor der Linie erreichte. Eigentlich verteidigte Luca Sperandio gut herüber, doch Mays spektakuläres Finish mit einem Hechtsprung besorgte dennoch die 20-8 Pausenführung, die England vor allem seinen besseren Finishern May und Watson zu verdanken hatte.

Italien zeigte sich zunächst unbeeindruckt und hatte auch den besseren Start in Durchgang zwei. Ein großartiger Cross-Kick von Garbisi auf Ioane führte zu einem 60-Meter-Lauf des Italien-Außens, doch zehn Meter vor der Linie mähte ihn Farrell in allerletzter Sekunde herunter. So reichte es nur zu einem Straftritt, mit dem Garbisi auf 8-20 verkürzen konnte.

Kurz danach dann aber der ultimative Nackenschlag - wieder arbeitete sich Italien tief in die England-22 vor und war drauf und dran, den zweiten Versuch für die Gäste zu legen. Doch ein zu optimistischer Pass von Garbisi wurde vom überragenden England-Außen Watson gelesen, der das Leder abfing und 85 Meter aus der eigenen 22 zum Versuch unter die Stangen sprintete.

Acht Versuche, darunter einige spektakuläre Aktionen - diesem Spiel fehlte es an Nichts

Der Versuch wurde allerdings nicht direkt gegeben, da Englands Farrell dem italienischen Neuner zuvor einen späten Hit ohne Arme verpasst hatte. Die grenzwertige Aktion wurde aber nach langer Diskussion zwischen TMO und Hauptschiri nicht geahndet, Farrell wurde damit wieder Mal für fragwürdiges Verhalten nicht sanktioniert. Für Italien war nun klar, dass dieses Spiel nicht mehr zu gewinnen war.

Mit 20 Minuten auf der Uhr wurde der eingewechselte Engländer Jack Willis zur tragischen Figur. Der Wasps-Flanker, der seit Monaten in der Premiership der wohl beste Dritte-Reihe-Stürmer ist, konnte zunächst per Pick and Go seinen ersten England-Versuch erzielen. Nur um dann wenige Minuten später per Golfwagen vom Feld transportiert werden zu müssen, nachdem er sich augenscheinlich schwer am Knie verletzt hatte.

Einen Pfeil hatte Italien noch im Köcher - die Azzurri erzielten nach schnellen Phasen und zwei blitzsauberen Offloads den zweiten Versuch durch Ersatz-Zehner Tomasso Allan - letztlich nur Ergebnis-Kosmetik. Der achte und letzte Versuch der Partie folgte nur zwei Minuten später, als Ersatz-Neuner Robson mit einem dreifachen Überpass nahe der Linie Daly zum Endstand von 41-18 bediente.

Es war der erwartete Sieg für England, zwar etwas niedriger als die meisten Prognosen, aber dennoch mit Bonuspunkt. Für den Vizeweltmeister war es mehr oder weniger nur die lästige Pflichterfüllung und der Schritt zurück ins Titelrennen. Für die Italiener hingegen ist selbst diese Niederlage ermutigend. Gegen Irland daheim dürfte es nicht viel einfacher werden, aber aktuell stellt man das jüngste Team im Turnier und hat damit auch viel Potenzial.

Schottland 24 - 25 Wales

Welch ein dramatischer Abend im verschneiten Murrayfield - erneut gewinnt Wales ein hochdramatisches Spiel, erneut profitieren die Waliser von einem roten Karton für den Gegner und dieses Mal trennt beide Teams nur ein einziger Zähler. Dabei sah Schottland lange wie der sichere Sieger aus.

Nach einer ausgeglichenen Anfangsphase mit jeweils einem Straftritt auf beiden Seiten, klingelte es das erste Mal nach zwanzig Minuten. Finn Russell hatte Johnny Gray per Offload durch die Lücke gesteckt und der Zweite-Reihe-Hüne hatte mit Riesen-Schritten den Weg bis an die 22 geschafft. Dort bediente Neuner Ali Price mit einem überragenden Überkick Außen Darcy Graham.

10-3 für Schottland und nur vier Minuten später der zweite Streich. Wieder wanderte das Leder nach einem Gedränge an der Mittellinie schnell durch die Hände und wieder führte ein Kick zum Erfolg. Stuart Hogg platzierte das Leder genau zwischen Halfpenny und Rees-Zammit, die für Wales hinten abdeckten - der Dopser des Balles überraschte beide und Hogg konnte mit dem Leder ins Malfeld rutschen.

Schottland schien daheim alle Zügel in der Hand zu halten und angesichts der kürzeren Pause, die die Waliser hatten und deren Verletzungssorgen, hätte zu diesem Zeitpunkt wohl kaum einer auf die Gäste gewettet. Doch Wales sollte seine Kritiker Lügen strafen, wie bereits eine Woche zuvor. Kurz vor der Pause hatte Wales nach Straftritt Gasse tief in Schottlands Hälfte - das Maul machte einige Meter, aber erst als Bigger mit dem weiten Pass und Thompson per Offload den jungen Außen Luis Rees Zammit bediente, fiel der Versuch für Wales.

So ging Wales beim Stand von 8-17 mit einem Funken Hoffnung in die Pause und konnte nach der Pause nachlegen. Wieder machte das walisische Paket wertvolle Meter bis in die 22 und wieder spielte das walisische Team einen seiner Außen drei. Dieses Mal bediente Louis Rees Zammit Liam Williams zum 15-17. Dann wenige Minuten später der nächste Nackenschlag für Schottland - Prop Zander Ferguson sah für ein gefährliches Cleanout Rot - eine relativ harte Entscheidung, durch die die Schotten die letzten 30 Minuten in Unterzahl spielen mussten.

Wales konnte direkt daraus Kapital schlagen - der fällige Straftritt wurde zur Gasse gekickt, erneut war das Wales-Paket eine Nummer zu stark für Schottland. Mehrere Sturmphasen später war Wyn Jones über der Linie und Wales führte tatsächlich mit 20-17. Doch mit dieser Wendung war die Dramatik noch lange nicht vorbei. Mit 15 Minuten auf der Uhr und in Unterzahl arbeitete sich Schottland in die 22 der Waliser vor.

Die ausführlichen Video-Highlights des Krimis von Edinburgh

Nach einem Gedränge kam der Ball auf Kapitän Hogg, der mit einem unglaublichem Antritt zwischen zweit Walisern durch zum zweiten Versuch kam. Pure Weltklasse vom Exeter-Profi und kurz vor dem Ende hieß es Vorteil Schottland. Nur fünf Minuten später aber die nächste Wende - an der Mittellinie spielte Neu-Waliser Willis Hallohallo Youngster Rees-Zammit frei. Der legte danach ein überragendes 50-Meter-Solo hin und überkickte dabei den in letzter Linie verteidigenden Hogg.

Rees-Zammits zweiter Versuch war ein Wirkungstreffer für die weiterhin in Unterzahl spielenden Schotten. Doch diese gaben sich nicht auf und kämpften die letzten Minuten in Unterzahl. Tatsächlich ergab sich die Chance in der dritten Minute der Nachspielzeit: Schottlands Verbinder Finn Russell spielte Winger van der Merwe per perfektem Offload an. Der schaffte es außen an Innen Watkin vorbei und schien auf dem Weg zur Mallinie, doch Owen Watkin erwischte van der Merwe noch am Hacken und brachte ihn so ins Straucheln. Der Ball ging an der 22 verloren und Wales konnte ins Aus kicken.

Das zweite hochdramatische Finish im zweiten Spiel und erneut war es Wales mit dem besseren Ende. Hatte man 2020 noch das Gefühl, dass Wales das Siegen verlernt habe, ist es nun genau umgedreht. In und um Cardiff würde man sich nicht ärgern, wenn die Partie gegen England in zwei Wochen daheim ähnlich endet. Schottland wiederum erfährt nach dem überragenden Sieg gegen England einen entscheidenden Dämpfer und muss nun ausgerechnet gegen England ran.

Irland 13 - 15 Frankreich

Es war das erhoffte Duell zweier Spitzenmannschaften. Großartig herausgespielte Versuche, knüppelharte Hits und ein Finish, dass es in sich hatte. Frankreich ging nach 83 engen Minuten als der glückliche Sieger vom Platz. Für les Bleus war es der erste Sieg in Dublin seit zehn Jahren. Doch es lief nicht von Anfang an dermaßen rund für den Titelfavoriten.  

Eine halbe Stunde lang fand Favorit Frankreich praktisch nicht statt. Nach einem zähen Auftakt, der durch Fehler auf beiden Seiten geprägt war, wobei Irland sich im Laufe der ersten dreißig Minuten immer mehr Vorteile erarbeitete. Die Gäste konnten sich nach Schwierigkeiten in der Gasse einfach nicht in der Hälfte der Gastgeber festsetzen. Hinzu kamen zahlreiche Fehler und Undiszipliniertheiten, eine davon nutzte Irland per Straftritt zum 3-0.

Als Zweite-Reihe-Stürmer Bernard Le Roux dann noch Gelb sah, als er dem an ihm vorbei sprintenden Keith Earles ein Bein stellte, hatte Irland vollends die Oberhand. Fast hätten die Boys in Green direkt daraus Kapital schlagen können. Nach einem dynamischen Paket, mit dem der irische Sturm ordentlich Meter machte, wanderte der Ball blitzschnell auf die andere Seite.

Dort ging Neuseeland-Import James Lowe mit Volldampf entlang der Auslinie aufs Malfeld zu, brach zwei Tackles und legte das Leder auf der Mallinie ab. Jedoch hatte Lowe zuvor unter Druck von Fickou und Dulin mit dem Schuh die Linie angekratzt und folgerichtig wurde der Versuch nicht anerkannt.

Frankreich machte es wenig später auf der anderen Seite in Unterzahl besser: Erst brachte der starke Innen Fickou les Bleus in die irische Hälfte. Dort machte Dupont das Spiel schnell und bediente Jalibert. Der Ntamack-Ersatz attackierte die Linie und setzte ein Weltklasse-Offload auf den mobilen Hakler Marchand, der wiederum auf den Unterstützung laufenden Dupont ablegt.

Frankreichs Spielfreude macht am Ende den Unterschied

Ein weiteres Offload und Penaud war schon kurz vor der dem Malfeld. Jetzt ging der Ball noch einmal von Seite zu Seite und ein letztes Offload von Fickou und Kapitän Ollivon konnte zum Versuch einlaufen.

Die Iren dürften sich direkt danach gefragt haben, wie man so etwas überhaupt verteidigen soll. Frankreich war kurz danach wieder vollzählig und ging mit viel Rückenwind und einer 10-3 Führung in die Halbzeitpause.  

Direkt nach der Pause fast der zweite Frankreich-Versuch. Hakler Marchand drang mit einem kraftvollen Lauf tief in die 22 der Iren ein und wurde erst einen Meter vor der Linie von Schluss Keenan zu Fall gebracht. Dupont wollte das Spiel schnell machen und die desorganisierte irische Defensive überrumpeln, traf mit seinem scharfen Pass aber nur den Kopf des heranrauschenden Willemse, von wo der Ball ins Aus hinter die Stangen flog.

Doch Frankreich kam wenig später zum zweiten Versuch. Nachdem Lowe einen langen Kick an der 22 nicht richtig unter Kontrolle brachte und einen Vorball produzierte, nutzten die Gäste das fällige Gedränge als Angriffsplattform. Der starke Fickou machte im Kontakt wertvolle Meter über die Vorteilslinie.

Von da spielte Frankreich mehrere Phasen in der 22 der Iren. Als Jalibert dann spontan die Richtung wechselte und mit einem weiten Pass Dulin bediente, hatten die zuvor gut verteidigenden Iren plötzlich eine Unterzahl. Dulin legte im richtigen Moment auf Penaud ab, der zum Versuch einlief. 15:3 für Frankreich, es roch nach einer Vorentscheidung, obwohl noch knapp 25 Minuten auf der Uhr waren.

Doch quasi mit der nächsten Aktion schenkte sich Frankreich selbst einen ein. Eine Irland-Gasse, die Frankreich-Kapitän Ollivon klaute, wurde zum Bumerang. Der Frankreich-Flanker klatschte das vom irischen Ersatz-Hakler Ronan Kelleher eingeworfene Leder auf seine Seite herunter, der Ball versprang aber völlig und landete direkt in den Armen des dankbaren Kelleher. Dupont war für eine Sekunde völlig perplex und Kelleher sprintete mit dem Leder bis ins Malfeld.

Zehn Jahre Warten hatte gestern ein Ende: Frankreich gewann endlich wieder Mal in Dublin

Auf einmal hieß es nur noch 10-15 und nach einem weiteren Straftritt vom eingewechselten Verbinder Ross Byrne nur noch 13-15. Irland war nur noch einen Straftritt entfernt das Spiel komplett zu drehen. Das machte die letzte Viertelstunde unglaublich spannend. Zuerst verpasste Frankreich die Entscheidung, nachdem Dupont mit einem weiteren Solo bis in Irlands 22 kam, jedoch verhinderte ein Fehler die Entscheidung.

Irland hatte die letzte Initiative, doch Frankreichs beeindruckende Defensive brachte den Sieg über die Zeit. Damit stehen les Bleus weiterhin an der Tabellenspitze und können weiter vom ersten Six-Nations-Sieg seit 2010 träumen. Das junge Frankreich-Team sammelt weiter Erfahrungen und verbindet Spielfreude mit eisenharter Defensive. Dass man auch ein Spiel gewinnt, in dem der Start alles andere als nach Maß verlief, spricht für les Bleus.

Irland dagegen muss nach zwei knappen und jeweils unglücklichen Siegen die Hoffnungen auf einen Turniersieg quasi schon begraben. Der Auswärtstrip nach Rom in zwei Wochen dürfte immerhin zum ersten Sieg im Turnier reichen.

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Letzte Aktualisierung ( Montag, 15. Februar 2021 )