Rugby und Rassismus in Deutschland: „Der moderne Rassismus ist unterschwellig“
Geschrieben von TotalRugby Team   
Dienstag, 23. Juni 2020

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Ben Ellermann wurde als gebürtiger Hamburger in Deutschland schon des Öfteren mit Alltagsrassismus konfrontiert - jedoch nie auf dem Rugby-Feld. Foto (c) Kessler

Das Thema Rassismus ist seit Wochen in aller Munde. Aus den USA ist die Diskussion nach dem gewaltsamen Tod des Afro-Amerikaners George Floyd durch einen weißen Polizisten mit voller Wucht auch nach Deutschland geschwappt. Wir haben uns in der deutschen Rugby-Community umgehört - gibt es Rassismus im Rugby und welche Rolle kann der Sport in der Überwindung von Rassismus spielen.

Eine Kokosnuss beim Weihnachtswichteln, Security-Mitarbeiter, die einem besonders offensichtlich folgen, Türsteher, die einem den Zutritt verwehren, übermäßig häufige Polizei-Kontrollen, oder die besonders insistierende Frage „woher kommst du denn eigentlich“ - auch in Deutschland machen dunkelhäutige Menschen im Alltag unangenehme Erfahrungen, mit denen die privilegierte Mehrheitsgesellschaft nie konfrontiert wird.

Mit Wolfpack-Kollege Tim Biniak hat sich Ben Ellermann über das Thema Rassismus in Deutschland unterhalten (Teil 1)

Vermeintlich harmloser Alltagsrassismus wie rassistische Witze, bis hin zu Diskriminierung bei der Job- oder Wohnungssuche - auch im Jahr 2020 ist Rassismus in Deutschland noch Alltag, wenn auch nicht mehr in dermaßen eklatanter Form, wie einst. Davon ist Ben Ellermann überzeugt - Siebener-Nationalspieler, gebürtiger Hamburger mit einem deutschen, sowie einem togolesischen Elternteil. „Der moderne Rassismus ist unterschwelliger“, so die Einschätzung des 22-jährigen Psychologie-Studenten und Sportstipendiaten der Universität Heidelberg.

Bereits im YouTube-Interview mit dem Wolfpack-Teamkollegen Tim Biniak hatte Ellermann vergangene Woche davon berichtet, wie ihm als Kind beim Weihnachts-Wichteln in der Schule eine Kokosnuss „geschenkt“ worden sei - unter dem Gelächter der Mitschüler und mit einer lediglich halbherzigen Reaktion des Lehrers. Ebenso berichtete Ellermann von penetranten Fragen, mit denen er immer wieder konfrontiert sei, nach dem „wo kommst du denn wirklich her“ - als seien Hamburg und Deutschland keine adäquate Antwort.

Auf dem Rugby-Feld, oder im Umfeld des ovalen Ballsports sei für ihn Rassismus dagegen bisher noch nie ein Thema gewesen, wie er im Gespräch mit TR erklärt. Ellermann hatte im Alter von 15 Jahren beim FC St. Pauli mit dem Sport begonnen und betont, dass „Anti-Rassismus“ Teil der Vereinsidentität und DNA der Braun-Weißen Hanseaten sei. Auch wenn es bei Derbys gegen den HRC gerne Mal etwas hitziger zugehe, seine Hautfarbe sei nie ein Thema gewesen - „Hamburg ist einfach nicht so“.


Als afrikanischer Rugby-Spieler in Pforzheim

Eine ganz andere Perspektive auf Rassismus in Deutschland hat Tafadzwa Chitokwindo. Der 29-jährige ist mittlerweile seit sechs Jahren in Deutschland. Der aus Simbabwe stammende Supersprinter des TV Pforzheim kam ein Jahr nach der Siebener-WM 2013 in Moskau, bei der er unter anderem gegen Samoa gepunktet hatte, auf Empfehlung eines ehemaligen RGH-Spielers aus Simbabwe nach Deutschland. Chitokwindo hatte gerade seinen ersten Universitäts-Abschluss von der südafrikanischen Rhodes-Universität im Bereich BWL/Handel gemacht.

Seit 2014 beim TV Pforzheim und 2016 deutscher Meister mit den Rhinos

Pforzheim hatte damals gleich vier Spieler aus Simbabwe verpflichtet. Mit gut 125.000 Einwohnern ist die Goldstadt zwar keine Kleinstadt, aber ebensowenig eine kosmopolitische Metropole. Damals habe man durchaus im Straßenbild herausgestochen und deshalb Blicke auf sich gezogen, wie Chitokwindo heute gegenüber TR erklärt.

Die unangenehmsten Erfahrungen habe man zunächst wegen der damals in Westafrika grassierenden Ebola-Epidemie gemacht - dass der Ausbruch im Westen des afrikanischen Kontinents geographisch näher an Deutschland geschah, als von Simbabwe aus gesehen, sei so gut wie keinem bewusst gewesen.

„Als Afrikaner in Pforzheim fiel man schon auf und wurde beobachtet, erst recht wenn man Mal gehustet hat“, so der Außendreiviertel zurückblickend. Erfahrungen mit Alltags-Rassismus hat auch Chitokwindo gemacht: Im Supermarkt musste er sich einer ausgiebigen Kontrolle eines Security-Mitarbeiters unterziehen, der ihn grundlos des Diebstahls bezichtigte, bis ein Kassierer ihn schließlich als Stammkunden identifiziert habe. Dazu berichtet Chitokwindo von viel Ignoranz, der er begegnet sei: „Viele Leute in Deutschland glauben, dass Afrika ein Land sei und afrikanisch die dortige Sprache“.

Gleichwohl würde er einem jungen ambitionierten Rugby-Spieler aus Simbabwe, der sich in der gleichen Situation befände, wie er 2014, sofort dazu raten, den Weg hier hin zu suchen. „Ich habe hier so viele tolle Leute kennen gelernt, ich habe quasi eine zweite Familie hier gefunden, mit ihnen Weihnachten gefeiert.“ Chitokwindo unterstreicht: „Auf dem Rugby-Feld und mit Rugby-Spielern habe ich nie auch nur im Ansatz rassistische Tendenzen erlebt.“

Chitokwindo hat mit der Nationalmannschaft Simbabwes bereits Erfahrungen auf der World Series machen dürfen

Seine Zukunft sieht er selbst in Deutschland und studiert deswegen mittlerweile für einen weiteren Abschluss an der Hochschule Pforzheim. Gleichzeitig jongliert er seine Rugby-Karriere mit der Nationalmannschaft Simbabwes, mit der 2022 seine dritte Siebener-WM spielen will und beim deutschen Meister von 2016, mit einem Werksstudenten-Job bei SWE Südwestenergie und Spielen als Unparteiischer.

Ausgerechnet die Flüchtlingswelle im Jahr 2015 habe bei vielen Menschen in Deutschland für ein Umdenken gesorgt. Viele Menschen hätten danach erstmals Erfahrungen mit anders aussehenden Menschen gemacht und das habe, so Chitokwindos Einschätzung, für mehr Akzeptanz in der Bevölkerung gesorgt.

Rugby als verbindendes Element

Wo sich sowohl Ben Ellermann, als auch Tafadzwa Chitokwindo einig sind, ist dass Rugby eine Rolle bei der Überwindung von Rassismus spielen kann. „Rugby bringt viele Kulturen zusammen, der Sport ist kulturoffen - er steht für Werte wie Respekt, Fair Play und Offenheit“, so Ben Ellermann gegenüber TR. Selbst in Südafrika, wo der Rugbysport lange eine zweifelhafte Rolle im Apartheid-System gespielt hat, habe mittlerweile ein Umdenken eingesetzt, das auch mit sportlichem Erfolg einherging.

Gleichwohl erhofft sich Ellermann ein konsequentes Vorgehen und null Toleranz, wenn sich rassistische Vorkommnisse ereignen. Eine Situation wie im italienischen Fußball, wo Affenlaute gegenüber dunkelhäutigen Spielern keine Seltenheit sind, ist im Rugby glücklicherweise undenkbar. Dennoch kann sich auch der Rugbysport nicht vollends reinwaschen: England-Prop Joe Marler wurde 2016 mit einer Strafe von 20.000 Pfund belegt, da er Wales-Gegenüber Samson Lee aufgrund dessen Herkunft als Irish Traveller einen „Zigeneunerjungen“ genannt hatte.

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