Rugby World Cup 2019: Die Tops und Flops des Turniers
Geschrieben von TotalRugby Team   
Dienstag, 5. November 2019

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Die WM ist Geschichte und nun ruht das ovale Leder international für 88 Tage. Foto (c) Perlich

Der Rugby World Cup 2019 ist Geschichte. Sechs Wochen Rugby-Festtage aus Fernost mit tollen Spielen, vollgepackten Stadien und einer auch in Deutschland großen Resonanz. Für Rugby-Fans heißt es jetzt ganz tapfer sein. 88 Tage lang wird das Leder international bei den ganz großen Teams ruhen, bis am 1. Februar die Six Nations mit gleich drei Spielen aufwarten, darunter Frankreich gegen Vizeweltmeister England. Wir wollen noch ein Mal zurückblicken auf ein Turnier, das am Ende mit Südafrika einen inspirierenden Sieger hatte, aber auch auf die Enttäuschungen.

Tops

Südafrikas Spirit

Als Springboks-Kapitän Siya Kolisi nach dem Abpfiff des Rugby-World-Cup-Endspiels das Mikrofon gereicht bekam, ließ der Anführer des Weltmeisters nicht die üblichen Sportler-Phrasen folgen. Er sprach stattdessen davon, was die Mannschaft Südafrikas antreibt, wie sich dieses Team seit der Niederlage gegen die All Blacks am ersten Wochenenden entwickelt habe. Darüber, wie man im Team darüber geredet hatte, dass man aus ganz verschiedenen Verhältnissen käme und dennoch ein Team geworden sei. Dass man mittlerweile nicht für sich selbst, sondern ganz Südafrika spiele.  

Dieser unbedingte Wille brachte die Boks schlussendlich bis zum Titel - als allererstes Team der World-Cup-Geschichte, das in der Gruppenphase ein Spiel verloren hatte. Ein Spiel mehr in den Knochen als England, einen Tag weniger zur Erholung nach einem bis zur allerletzten Sekunde verbittertem Kampf im Halbfinale gegen Wales - all dies war den Boks-Spielern egal, sie überwältigten England am Ende mit so viel Arbeit in der Defensive, dass es einem Respekt abnötigen muss.

 

Kolisis inspirierendes Interview nach dem WM-Finale

England schickte seine starken Ballträger um die Vunipola-Brüder und die Zweite-Reihe-Stürmer Itoje und Lawes ein ums andere Mal mit Vollgas auf die südafrikanische Defensiv-Linie, wo sie aber wieder und wieder jäh zu Fall gebracht wurden. England schaffte es keinen Versuch gegen die Boks zu legen und so bleibt Josh Adams Try im Halbfinale der einzige, den die Boks in drei K.O.-Spielen kassierten.

Die Bilder die nach dem Spiel aus Südafrika um die Welt gingen, ließen erahnen, was dieser Titel den Bok-Spielern um Kolisi und dem gesamten Land bedeuten. Kolisis Coach Rassie Erasmus erklärte der Weltpresse nach dem Spiel, aus welchen Verhältnissen Kolisi einst selbst kam. Dass sich seine Familie weder Rugby-Schuhe noch ordentliche Spielkleidung für den Schützling leisten konnte. Und wie er sich heute für sein Township engagiere, hunderte paar Schuhe und Trikots für den Nachwuchs stelle und zwar jedes Jahr.

Prinz Harry, dessen Engländer im Endspiel chancenlos waren, der sich aber als großzügiger Verlierer gab, besuchte die Boks nach dem Abpfiff in der Kabine des Yokohama Stadiums. Dort betonte er in seiner Ansprache an den Weltmeister: „Ich bin der festen Überzeugung - Rugby hat die Kraft Menschen auf dem Planeten zu vereinen.“ Es erinnerte ein wenig an eine andere Ansprache, 24 Jahre zuvor. Südafrikas erster frei gewählter Präsident Nelson Mandela hatte 1995 nach dem ersten WM-Gewinn seines Landes gesagt: „Der Sport hat die Kraft Hoffnung zu kreieren, wo einst Verzweiflung herrschte.“ Südafrika hat in den letzten Jahren wirtschaftlich schwierige Zeiten erlebt und die Ungleichheit grassiert weiter. Doch dieser Titel eint das Land einmal mehr.

Englands Gala gegen Neuseeland

Warren Gatland hatte es bereits erahnt. Manche Teams haben ihr Finale bereits im Halbfinale und können danach nicht mehr zulegen. So der Wales-Coach unter der Woche, als er nach seinem Favoriten für das Endspiel gefragt wurde. Es sollte so kommen und England war, obwohl man den Topfavoriten eliminiert und dabei eines der besten Spiele des Turniers abgelegt hatte, verständlicherweise verbittert nach dem Finale - nichts unterstrich das mehr, als Maro Itojes Weigerung die Silbermedaille für den zweiten Platz anzunehmen. Dennoch hatte England für eines der Spiele des Turniers gesorgt - das Team von Eddie Jones hatte die fast zehnjährige Dominanz im Welt-Rugby der All Blacks beendet.

80 Minuten fast fehlerfreies Rugby, hohe Intensität, brutale Power und Geschwindigkeit. Das Rezept, wie man den All Backs beikommen kann, ist mittlerweile bekannt. Doch all dies über ein gesamtes Spiel durchzuhalten - das können nur eine Handvoll Teams an ihrem allerbesten Tag. Den hatte England im Halbfinale, dann aber nicht als es um den Titel ging. Sicherlich enttäuschend für England - doch bei der RFU ist man mit dem Abschneiden mehr als zufrieden und hinter den Kulissen wird daran gearbeitet Eddie Jones bis zur nächsten WM als Coach zu halten, obwohl der Australier auch sein zweites WM-Finale als Headcoach verloren hatte.

In England Das Endspiel war das meistgesehene TV-Programm in Großbritannien im gesamten Jahr. Die Helden von 2003, die England den bisher einzigen WM-Titel bescherten, werden weiter ihren einmaligen Status behalten. Doch England hatte eine junge Mannschaft auf dem Feld - fast alle Schlüsselspieler werden bei der kommenden WM noch im besten Rugby-Alter sein. Die beiden überragenden Flanker Curry und Underhill sind gar dann erst Mitte 20. Es würde keinen überraschen, wenn sich dieses England-Team in vier Jahren in Frankreich den Titel holt.

Das Medienecho auch in Deutschland

Die Süddeutsche schreibt „alle Rugby schauen“, Spiegel Online berichtet über den „außergewöhnlichen Gentleman“ Nigel Owens und die Zeit beschreibt in einem tollen Artikel, wie Rugby Irland eint. Das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus dem riesigen Medienecho, zumindest für deutsche Verhältnisse. Die Rugby-WM fasziniert mehr und mehr Leute.

ProSieben Maxx konnte Rekordquoten mit der WM erzielen und auch viele Football-Fans, die mit dem Sender vertraut sind, schalteten ein wenig früher ein, um das andere ovale Ei zu sehen. Es bleibt zu hoffen, dass dies kein Strohfeuer bleibt und da würde es natürlich helfen, wenn ProSieben Maxx dem Rugby die Treue halten würde. In nur 88 Tagen gäbe es die nächste gute Gelegenheit - Six Nations Rugby bei ProSieben Maxx? Warum nicht!

Offensiv-Rugby bleibt Trumpf

Ein weiterer positiver Trend: Der Trend hin zum Offensiv-Rugby hält an. Zwar waren die Sprinboks nicht das Team, das per Offensiv-Feuerwerk zum Titel gelangte. Aber dennoch hatte der neue Weltmeister mit Mapimpi und Kolbe zwei großartige Finisher in seinen Reihen. Offensiv-Rugby dominiarte bei dieser WM und Ergebnisse, wie sie noch 2007 und 2011 öfter zu sehen waren, wie das 8-7 im Finale in Neuseeland, oder das 9-8 im Halbfinale, gehören wohl der Vergangenheit an.  Ohne ausreichend Versuche zu erzielen, gewinnt man keine WM. Das musste ein von Verletzungen gebeuteltes Team aus Wales schmerzhaft erfahren.

Offensiv-Rugby bleibt Trumpf bei dieser WM

Flops

Irlands Defensive

Nicht einmal ein Jahr lag zwischen Irlands fantastischem Sieg über die All Blacks und der spielerischen Kapitulation von Tokyo im Viertelfinale. Trainer-Genie Joe Schmidt, Strippenzieher und Weltspieler des Jahres Johnny Sexton in den Schlüsselpositionen - in Irland ging man mit unglaublich viel Optimismus in das Rugby-WM-Jahr. Den ersten Dämpfer gab es direkt zum Auftakt. Gegen den großartig aufspielenden Gastgeber Japan setzte es eine verdiente Niederlage. Was dann aber im Viertelfinale folgte, war eine Demütigung. Das Team, was vor Monaten noch als das mit den besten Chancen auf einen Sieg über Neuseeland gehandelt wurde und für die wasserdichte Defensive gelobt wurde, kassierte gleich sieben Versuche gegen die All Blacks.

Zu keinem Zeitpunkt konnten die Boys in Green mit der Intensität der All Blacks, ihrem Speed und ihrer Power zurechtkommen. Dazu fand das Team im letzten Spiel unter Coach Joe Schmidt keine Mittel gegen Neuseelands Defensive - bis Minute 68 Stand die Null bei Irland, und zwar bei den selbst erzielten Punkten. Es war nicht das erste Mal, dass Irlands Hoffnungen auf eine gute WM jäh beendet wurden. 2007 musste die goldene Generation um O’Driscoll, O’Gara und O’Connel bereits nach der Gruppenhase die Segel streichen. 2015 folgte das Aus ebenso Abreibung, damals von den Argentiniern. Irland und der Rugby World Cup, es soll einfach nicht sein, könnte man meinen. Auch im neunten Anlauf schaffen es die Boys in Green nicht über das Viertelfinale hinaus.

 

Irlands Defensive: Vor einem Jahr die beste der Welt, mittlerweile gleicht sie einem Schweizer Käse

Das schier endlose Ruck vorm Boxkick

Es ist eine Taktik, die in den letzten Monaten wieder absolut en vogue ist, die Rede ist vom Boxkick - also der Kick direkt vom Ende des Offenen. Es ist quasi die sichere Option - wenn das Spiel statisch ist und man mit einer neuen Phase potenziell Meter verliert, ist es sicherlich auch die bessere Option. Zumal wenn man gute Fänger hat, die den Ball 30 Meter weiter vorne auflesen können. Selbst die spielfreudigen All Blacks wählen oftmals den Boxkick. Natürlich auch, da sie sich im Schnitt fast jeden zweiten Ball zurückholen und dann in einer großartigen Ausgangssituation sind, um gegen eine desorganisierte Defensive anzugreifen.

Was aber so ziemlich jedem Fan auf den Zeiger geht, ist was im englischen gerne Mal „human centipede“, also menschlicher Tausendfüßler genannt wird. Also das Ruck künstlich so sehr zu verlängern, dass die Gefahr geblockt zu werden, quasi nicht mehr besteht. Es macht das Spiel langsam und nimmt jegliche Chance auf einen fairen Kampf um den Ball. Schiedsrichter könnten dem relativ schnell beikommen, denn den Regeln nach muss der Ball sobald er spielbar ist innerhalb von fünf Sekunden aus dem Ruck. Im Normalfall dauert der Aufbau eines XXL-Rucks deutlich länger. Häufigere use it calls und das pfeifen des fälligen Gedränges für den Gegner sollte helfen, dieser Taktik beizukommen.

Eine Taktik, die gerade in der englischen Premiership eingesetzt wird: Das endlose Ruck

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Kommentare (5)add comment

Sönke Wolfgramm said:

4023
Six Nations bei Pro7 Maxx...
Das wird wohl ein Wunschtraum bleiben, kollidieren die Six-Nations Spiele am Samstag und Sonntag doch mit den College Football bzw NFL-Übertragungen. Und die sind dem Sender nun mal heilig. Vielleicht sollte sich um die Rechte fürs Super Rugby oder die Rugby Championship beworben werden. Da könnten zumindest alle Spiele in Australien und Neuseeland gezeigt werden, ohne dass man sich mit dem anderen ovalen Leder in die Quere kommt. Für die Six Nations zähle ich auf DAZN...
November 06, 2019

Matthias Hase said:

381
...
Die College-Saison endet traditionell um Silvester/Neujahr rum. Der Super Bowl steigt ebenfalls traditionell am ersten Sonntag im Februar.
November 07, 2019

Sönke Wolfgramm said:

4023
...
Oha. Gar nicht drüber nachgedacht. Vielen Dank für den Hinweis. Dann würde sich das ja für den Sender mehr als anbieten. Für die Six Nations zähle ich auf Pro7 Maxx...
November 07, 2019

tim spengler said:

2957
...
major league rugby würde auch super ins programm passen!
ist auch eine us profiliga und findet auch in der offseason von der nfl statt.
zusätzlich sind die übertragungsrechte vermutlich um einiges günstiger, als die für super rugby und six nations.
November 09, 2019

Alexander Kühn said:

401
...
Gespielt wird dann vor 1001 Zuschauern und mit dem Premium-Produkt, will Pro7 dann Sportfans fürs Rugby begeistern? Super Rugby und Major League sind als Premium-Produkte nicht zu vermitteln, egal wie gut das Rugby (Super Rugby) ist, oder wie günstig die Rechte (MRL), Du brauchst volle Stadien und richtig Stimmung.

- Rugby Championship
- Six Nations
- Sevens World Series
- Top 14
- G Premiership
- Champions Cup

Das sind Produkte die man vorzeigen kann. Den Rest kannst Du vergessen.

November 09, 2019

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Letzte Aktualisierung ( Mittwoch, 6. November 2019 )